Ich nahm die Schere und schnitt! Das war einfach in der Großschneiderei meines Vaters und Großvaters, in der mehrere Gesellen – ich kann mich an ihre Zahl nicht mehr erinnern, denn der Führer holte sie nach und nach alle in seine Kriegsholding – arbeiteten, zu denen ich ein gutes Verhältnis hatte. Es nutzte ihnen wenig, die Scheren aus meiner Reichweite zu legen. („Achtung da kommt Willy…Scheren weg!“) Vor meiner Schneidewut war nichts sicher. Ich schnitt Männchen, Tierchen und Bäumchen aus den schönsten Stoffen und nicht immer nur aus den Resten.
Diesmal war es mein Badekostüm, das ich durchtrennte. Es war ein schönes, hochgeschlossenes, oberschenkellanges, anthrazit- und blaugestreiftes Badekostüm, auf das meine Mutter sehr stolz war und es mir an heißen Tagen anzog. Ich aber wollte daraus eine Badehose machen ohne das lästige Oberteil, und hielt es meinem Großvater hin. Der redete nicht lange drumherum, nähte den Bund um und zog eine Kordel durch. Als er aber die Öffnung zum Binden vorne machen wollte, deutete ich ihm an, sie an der linken Seite – ich bin Linkshänder – zu machen. Mein Opa gehorchte.
Meine Mutter war wütend und nahm mich ins Gebet, las mir die Leviten, (Prügel, die, wie ich mir sicher bin, alle meine Schulkameraden von ihren Eltern bekommen hätten, bekam ich nicht dafür; meine Eltern waren liberaler.) sprach aber später immer von meiner kreativen Ader, wenn sie den Tatbestand erzählte. Da hatte ich natürlich noch keine Ahnung, was Kreativität war; ich war ja kaum Sechs.
„Was willst Du mal werden?“ war immer die dritte Frage, die dir diese langweiligen Erwachsenen stellten – die erste Frage nach dem Alter und die zweite: „Wie geht es in der Schule?“ – und ich antwortete: „Maler oder Künstler!“ Da war ich 7 oder 8 Jahre alt und das löste zu meinem Erstaunen soviel Heiterkeit aus, dass ich es in Zukunft vermied, auf diese Frage zu antworten; ich fühlte mich ausgelacht!
Nach der Volksschule hätte ich gerne die Kunstakademie besucht oder so was Ähnliches, was mit Malen, Zeichnen, Theaterspielen, Musik und so zu tun hatte, aber ich wusste nicht, wie man das anstellt. Auch meine Mutter wusste das nicht und so unterblieb es. Und wer wollte, wer hätte mir in meinem Minigeburtsdorf einen Ratschlag geben können? Niemand! Studieren, vielleicht sogar die Kunstakademie besuchen, war in Randerath für einen Schneidersohn nicht vorgesehen.
Stippeln wie mein Vater, mein Großvater und mein Urgroßvater wollte ich eigentlich nicht. Aber es schien keine andere Möglichkeit für mich zu geben, und so fügte ich mich der langen Familientradition. Mein Vater, der Schneidermeister Heinrich Bergers, war da noch in russischer Kriegsgefangenschaft (er kehrte erst Ende 49 zurück) und konnte mich nicht anlernen. Aber es gab genügend Lehrmeister, die Jungs wie mich 3 oder auch 4 Jahre ausnutzen durften. An hartes Arbeiten war ich schon gewohnt. Mit 11/12 Jahren hatte ich den Handlanger für zwei Maurer, die unser im Krieg zerstörtes Haus aufbauten, gespielt, und die Fresswaren von den Bauern herangeschleppt, die meine Mutter schwarzmarktversetzte. Und so trat ich eine Lehrstelle in der Kreisstadt an: Zwölf Stunden täglich von montags bis freitags und samstags 8 Stunden. Die einzige Unterbrechung war die einmal monatlich stattfindende Berufsschule. Da gab es zu meiner Freude einen Lehrer, der mein Zeichentalent förderte, und – so, wie ich es heute sehe – meine Kreativität.
Als ich eine Ahnung davon hatte, wollte ich unbedingt kreativ sein! Hatte ich doch das Schneiderhandwerk perfekt erlernt, im Geschäft meines Vaters für die eleganten Dorfdamen Kostüme und Mäntel geschneidert, einen Industrieschneider und einen Bekleidungstechniker der TIGS in Mönchengladbach gemacht, und eine Designschule besucht.
Aber wer glaubt denn im Ernst, dass einer aus Randerath, dem winzigen Selfkantort im Aachener Bezirk, auszieht, die Menschheit zu bekleiden? „Der hat nicht alle Tassen im Schrank,“ oder „bleibe im Lande und ernähre dich redlich,“ war das Äußerste, was man da zu hören bekam. Nicht, dass das etwas mit Böswilligkeit zu tun hatte, nein, im Gegenteil, die Leute meines Heimatortes, auch Grasbürger genannt, meinten es gut. Die wollten nur dein Bestes. Du solltest keine Pleiten in der Fremde erleben.
Aber da war meine Mutter, die dachte nicht so wie die anderen Schmitzenmütter. (In meinem Heimatort gaben die Schmitzenmütter den Ton an). Die hatte bereits nach meinen 16 Lenzen gesagt: „Du musst hier raus!“ Nicht, dass sie mich damit loswerden wollte, nein, sie wollte für mich, was sie selbst nicht mehr erreichen konnte: raus aus der Dorfenge! Aber auch ohne ihre hilfreichen, psychologischen Fußtritte wollte ich raus, wollte zeigen, dass ich kreativ sein kann.
Was eigentlich Kreativität war (oder was ich damals darunter verstand) davon hatte ich eine recht abstrakte Vorstellung. Kreativ waren für mich bereits die neu zu erlernenden Übungen im Kunstturnverein, in dem ich begeistert mitmachte. Nach Handstand, Riesenwelle und Flick-Flack kamen Luftrolle, Stütz- und Tschechenkehre am Barren. Kraft und Geschicklichkeit reichten da nicht aus, da kam es auf die Kreativität an, sie gut auszuführen. Ich begann die zusammenhängenden Übungen (Kür) aufzuzeichnen und stieß dabei auf immer neue Übungsteile und Kombinationen. „Zu schwierig, zu schwer, nicht durchführbar, unmöglich, das wird nie einer turnen!“ (Argumente, die ich später in meinem Beruf immer wieder zu hören bekam) sagten sie; und als ich ihnen den Salto aus der Riesenfelge um die Reckstange herum vorzeichnete, erklärten mich meine Turnbrüder für bescheuert! Heute gehört dieser Übungsteil in jede Kür eines Weltspitzenturners!
Meine ersten Kreativversuche waren damit erst einmal gescheitert, und es sollten nicht die einzigen bleiben. Zuvor jedoch hatte ich mich schon einmal einer Selbstzensur unterworfen: In den letzten beiden Kriegsjahren, da war ich noch Schüler der Grundschulklassen, zeichnete ich Landkarten von Großdeutschland, in denen ich immer wieder versuchte, die neuen Grenzen nachzuziehen. Dass dabei die Ostgrenze immer weiter ins Reich rückte, störte mich zwar, aber wir hatten ja noch den Endsieg, eine kreative Variante der Nationalsozialisten, vor uns. Als der dann doch nicht erfolgte, vernichtete ich alle Zeichnungen und widmete mich der Malerei. Doch eines Tages, da muss ich etwa 14 gewesen sein, und schon von der ersten materiellen Nachkriegsphase, die meine Malambitionen als “Brotlose Kunst“ bezeichnete, beeinflusst gewesen sein, verbrannte ich alle Bilder. Nur meiner Mutter gelang es, ein paar Exemplare zu retten, die händigte sie mir aber erst aus, als ich schon 50 war. Da staunte ich über meine eigene Kleckserei!
Wenn ich aber geglaubt hatte, mit meinem (für mich) vollen Ausbildungsköfferchen flugs in die Bekleidungsindustrie einreisen zu können, so hatte ich mich getäuscht! Im Dreieck Aachen, Gladbach, Krefeld, dem Zentrum der Textil- und Bekleidungsindustrie, in meiner Heimat, in der ich gerne meine ersten Klamotten gestylt hätte, (auch um meinen Turnverein nicht verlassen zu müssen) wollte man von meiner Mitarbeit nichts wissen. Das kam erst später, als ich schon Karriere im Modeland Italien gemacht hatte.
Also ging ich in die Notopferstadt Berlin zur damals bekannten Damenoberbekleidungsfirma Velisch. Ich dachte eine Stelle als Assistent beim ersten Modellmacher dieses Betriebes sei genau das Richtige! Wieder gefehlt! Dem Modellmacher war ich zu schnell, dem Betriebsleiter, Herr Danzl, gefiel meine Nase nicht, und da sein bester Freund, Herr Stelter, der Verkaufsleiter und Geschäftsführer der Firma war, befand ich mich nach einem halben Jahr schon wieder unter den Arbeitslosen. (Übrigens konnte ich später erfahren, dass der Modellmacher gefeuert, der Betriebsleiter sich selbständig gemacht hatte und mit seinem Betrieb pleiteging. Auch Herr Stelter, der ebenfalls ein eigenes Unternehmen gegründet und in die Pleite geführt hatte, brachte sich um.)
Wütend besorgte ich mir ein Branchenbuch – Google gab es damals noch nicht – schrieb mir die besten Bekleidungswerke der viergeteilten Stadt auf, und begab mich auf die Stellensuche, mit persönlicher Vorstellung. Bei der dritten Firma hatte ich endlich Erfolg. Es war die Damenoberbekleidungsfirma Hommel & Klatt, und Herr Klatt, der alleinige Besitzer des Unternehmens, konnte Herrn Stelter nicht leiden. Er stellte mich sofort als Modellmacher, mit der Aussicht bei ihm Konfektionär zu werden, ein. Damals gab es den Begriff Stylist oder Modedesigner noch nicht. Ein Konfektionär war einer, (oder sollte es zumindest sein) der das Produkt von der Kreativität bis zur industriellen Fertigung beherrschte, und das wollte ich natürlich werden!
H & K brachte mich nicht nur ein gutes Stück meinem Ziel näher; ich hätte es auch dort erreichen können, wenn ich unter der Protektion von Herrn Klatt, dem ich einiges zu danken habe, weitergemacht hätte. Aber ungeduldig wie ich war, verließ ich die Firma bereits nach etwas mehr als 3 Jahren, um einem Angebot der Bekleidungsfirma Hucke in Nettelstedt zu folgen,…eine vorprogrammierte Pleite!
Vielleicht hätte ich im Lande – man meinte damit einen Flecken, der nicht über die Kreisgrenze hinausging - bleiben sollen und mich redlich ernähren, was alle um mich herum raunten. Aber ich wollte nicht in diesem Nest in Hintertupfingen (Randerath) weiter versauern, und so ging ich nach Berlin, aber auch an diesem kreativen, geteilten Ort, musste ich erst einmal erfahren, dass man nicht nach seinem eigenen System die Schnittschablonen vergrößern und verkleinern durfte, bis ich auf den fantastischen Herrn Klatt stieß, der mich förderte, mir absolut freie Hand bei der Modellgestaltung ließ.
Aber was treibt einen linksrheinischen Rheinländer nach fast 4 Wohlfühljahren in Berlin in dieses Kaff zu gehen? Ganz einfach: ich war gerade ein Jahr verheiratet, meine Schwiegereltern wohnten in der Nähe, und man hatte mir eine Wohnung, in der nach dem Kriege aus dem Boden geschossenen Ortschaft Espelkamp-Mittwald, im Grünen, zur Verfügung gestellt. Da stimmte das Privatleben, aber….
Gewohnt in einem Berliner Kreativteam selbständig zu arbeiten, vom Unternehmer mit „mein Junge“ angeredet, kam ich da richtig an! Und was ich nicht wissen konnte, der Herrscher des Ateliers, das ein Kreativzentrum sein wollte, hatte schon vor meiner Ankunft beschlossen, mich auf sein westfälisches Kreativniveau hinunterzuziehen.
Bei Hucke durfte nur eine kreativ sein, die betagte Jungfrau Groothus, eine Verwandte des Unternehmers Erwin Hucke. Ihre Kreativität bestand darin, die Modelle der Konkurrenz aus den Zeitschriften zu kopieren, was man damals noch nicht „Nachempfinden“ nannte. Und da die Gute diese Nachempfindungen nur bedingt produktionsreif realisieren konnte, hatte sie ein weiteres Reparto, von ihr auch Produktionsmodellmacherabteilung genannt, geschaffen, welches ihre Modelle von Grund auf neu für die Produktion erstellte.
Nach ihrem Berufskredo gab es 2 Sorten von Modellmachern, die Kreativen, die die Modellschnitte nur für die Kollektionsprototypen herstellten, (zu denen sie sich selbst zählte) und diejenigen, die aus den Modellschnitten der Kreativen erst produktionsreife Schnitte machten.
Das hatte in den folgenden Saisons den Vorteil, dass sie bei neuen Nachempfindungen, die perfekten Schnitte des zweiten Repartos verwenden konnte. Sehr kreativ von Fräulein Groothus! Nicht so für mich, der ich gleich das Reparto überspringen wollte. Dinosaurier Groothus hatte schon vor meiner Ankunft entschieden, dass ich das falsch mache.
Kaum hatte ich meine ersten zaghaften Schritte in der Firma gemacht, da wurde mir gesagt: „Sie wissen doch, dass Frau Groothus ein besonderes Verhältnis zum Chef hat, und hier eine Sonderstellung genießt!“ Ich wusste davon nichts, wollte es auch gar nicht wissen, und so verließ ich diesen „kreativen“ Ort, nachdem ich pausenlos gegen eine Gummiwand gerannt war, mit einem starken esaurimento.
Dass da einer wie ich beide Schnittmacher in einer Person sein sollte, war für sie, wie sie selbst immer sagte, „unmöööchlich“. Ob ihre Sonderstellung nur etwas mit der Verwandtschaft zum großen Hucke zu tun hatte, oder mit ihm auch die sexuellen Lebensfreuden teilte, war mir völlig gleichgültig; ich vermied es auch, da nachzufragen. Aber, dass sie die absolute Herrscherin war, konnte man schon daran sehen, dass alle, die in der Firma etwas zu sagen hatten, ihr Tribut zollten.
Kam ein neuer Stoffcoupon an, warf Groothushause ihn über die Modellpuppe. Und alle vom Geschäftsführer bis zum Betriebsleiter, die häufiger als normal einen Blick ins Atelier warfen, nickten anerkennend: „Fräulein Groothus brauchte mal wieder eine Augenweide,“ oder „Sie ist in einer kreativen Phase!“
Wenn etwas ihre gnädige Anerkennung fand, konnte sie auch sehr freundlich sein. „Was meinen Sie Fräulein Groothus, ob das gut ist?“ Ihr anerkennendes Jahhh hauchte sie dann so, indem sie bereits beim A die Luft gönnerhaft tief einzog, als wollte sie 3 H’s anhängen.
Nachts kontrollierte sie meine halbfertigen Schnittmodelle, um mir am nächsten Morgen zu sagen: „Glauben Sie, dass das gut ist, was Sie da machen?“ „Aber Fräulein Groothus, wir müssen das doch erst einmal realisieren, bevor,…“ Weiter brauchte ich erst gar nicht zu reden, denn sie hatte bereits den Raum verlassen. Zuhören war nicht ihre Stärke. Und wie weit ihre Kreativität reichte, konnte ich an Hand der Gummimauer, auf die ich schnell gestoßen war, spüren. Bei einem meiner höflichen Versuche, einer Zuschneiderin, die eigentlich meine Mitarbeiterin oder sogar Untergebene hätte sein sollen, zu erklären was ich möchte, wurde ich schrill unterbrochen: „Ich mache das aber nicht so!“ Und als ich sie erstaunt ansah: „Sie kommen hier einfach daher und wollen uns Vorschriften machen, wie wir zu arbeiten hätten!“ (Auch sie war eine Verwandte der Kreativen.)
Unterlief mir ein Fehler, solche, die in der Bekleidungsindustrie zur normalen Administration gehören, (wir haben es mit Geweben zu tun, die auch nicht vorauszusehende Reaktionen haben) forderte sie mich weder auf, ihn abzustellen, noch ließ sie mir die Zeit, ihn zu korrigieren, sondern kanzelte mich vor versammelter Mannschaft ab. Selbst meinen Mantel im Vollkimonostil, auf den ich sehr stolz war, und der mir noch in Berlin den Titel “König des Vollkimonos“ eingetragen hatte, wusste sie unterzubuttern. Nicht sagen zu können, dass er schlecht sei, streute sie das Gerücht umher, der sei nicht von mir, den hätte ich von einem befreundeten Modellmacher bekommen. Da wurde ich ernstlich krank, und bat den Geschäftsführer, mich von meinem Vertrag zu entbinden. Heute würde man das, was sie tat „Mobbing“ nennen; damals schien es die normalste Sache in der Bekleidungsindustrie zu sein!
Doch kaum hatte ich der Huckegesellschaft den Rücken gekehrt, erreichte mich das Angebot, in Italien arbeiten zu können. Das ergriff ich wie ein Ertrinkender den rettenden Strohhalm. Und im Grunde sollte ich der Huckedame noch heute dankbar sein; ohne ihre freundlichen Unfreundlichkeiten hätte ich vielleicht die nun folgende Karriere nicht machen können. Danke!
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Ich bin immer davon ausgegangen, und vielleicht liegt das auch an meiner Familientradition und an der deutschen Gründlichkeit, dass, egal was man macht, es gut sein muss. Es muss an erster Stelle einem selbst gefallen, und dann auch den andern. Und auch deshalb habe ich mich nach meiner Schneiderlehre erst einmal als Schneider bestätigen wollen. Auch nach dem Studium der TIGS erst einmal als Modellmacher, der die Ideen der anderen industriell umsetzt, und sich dann erst der kreativen Seite zuwendet, eine Ausbildung, die heute oft bei Stylisten vermisst wird.
Den Deutschen will man ja immer die Kreativität absprechen. „Die können nur Autos und Panzer bauen,“ ist der meist benutzte ungerechte Satz der Cittadini anderer Länder. Ich möchte nicht immer nur verständnislos, seit ich im Ausland lebe, aus der Wäsche schauen, wenn man den Deutschen ihre Kreativität absprechen will. Ich möchte damit aufräumen, aber ich will hier nicht den Fehler begehen, über die kreative Seite der Kriegszeit zu reden, von der ich noch einiges mitbekommen habe, sondern über die kreative Nachkriegszeit. Und die begann mit dem Schuttaufräumen, mit den Schwarzmarktgeschäften, mit dem Hausaufbauen ohne Baugenehmigungen und Finanzen, mit der Kompensierung der Nahrung. (Siehe auch meine Aufzeichnungen: Kein Licht am Ende des Dschungels.)
Nach der Deutschen Kreativität gefragt, habe ich mehr als einmal ins Fettnäpfchen getreten. Das geschieht jedes Mal, wenn du sagst was du siehst und denkst. (Siehe auch mein Leserbrief in der Textil-Wirtschaft N° 22 vom 27. Mai 92, auf einen Bericht vom 2. April 1992: Die Stars arbeiten im Verborgenen) (Siehe: Deutsche Designer - Lorbeeren selbst einheimsen).
Schön, auch ich bin ins Ausland gegangen, um meine Kreativität zu entfalten. (Kein Prophet ist…) Seit Dior gibt es keinen Stylisten, keinen sogenannten Modemacher, der in der Mode etwas grundlegend bewegt hat! Er war der letzte, der die Mode noch diktierte: H-Linie, Ballon, Trapez, die Damenwelt folgte. Danach gab es nur noch Möchtegernschöpfer. Mini und Maxi wurden nicht mehr, wie von den Medien hochgejubelt, von diesem oder jenem Stylisten geschöpft, sondern kamen von der Straβe, von Hunderten unbekannten Designern (die schweigende Modemachermehrheit) mitgetragen.
Wir müssen davon ausgehen, dass man eine Jacke, eine Hose, egal welches Kleidungsstück auch immer, nicht neu erfinden kann. Wir können es nur anders, besser, schlechter, schöner, grintoser, oder moderner, contemporaneer (was immer man auch darunter versteht) interpretieren.
Im Grunde, und in erster Linie, sind es die Garn- und Stoffstilisten, die die Mode machen. Würden die uns nicht in jeder neuen Saison neue Garne und Stoffe auf den Tisch legen, wüssten die meisten von uns nicht, wie sie ihre Kollektionen gestalten sollen. So aber greifen wir gierig zu, lassen an diesem oder jenem Stoff etwas ändern (als “Empfehlung“ kaschiert) und machen daraus wieder die gleichen (neuen) Kleider wie gehabt, und lancieren die als neue Mode in den modegierigen Markt. Zu den Stoffmessen reisen wir mit hängenden Kreativarmen, Optimismus heuchelnd an, um beschwingt, kreativreich wieder abzureisen. Die Stoffhersteller, die uns nichts Neues vorlegten, verlassen wir arrogant mit dem Daumen nach unten zeigend.
Irgendwann in den Achtzigerjahren, als mich eine italienische Modegiornalistin nach meinen Modeschöpferplänen fragte, winkte ich entsetzt ab: „Ich verstehe mich nicht als Modeschöpfer, sondern als ein kreativer Handwerker im Dienste der Mode.“ Doch am Ende unserer Plauderstunde bezeichnete sie mich als designatore contemporaneo
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Und dann kam Italien, Florenz. Wer es heute kennenlernt, oder sogar erobern will, kann sich nicht vorstellen, welchen Eindruck es damals auf mich machte. Weniger Tourismus, weniger Verkehr, weniger Berluskaiserrismus; mehr Begeisterung, mehr Miteinander, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Respekt, lange sonnige Sommer, traumhafte Landschaften. Vieles ist nicht mehr so, einiges für immer dahin, manchmal habe ich den Eindruck, dass nur letzteres übriggeblieben ist. (In meinen Erzählungen vom “schönen Schönland“ habe ich einiges davon aufgezeichnet.) Vorbei sind die Zeiten, in denen man die besten Verträge mit einem Händedruck beschließen und ich mein Auto noch unverschlossen vor dem Battistero parken konnte.
Der Konfektionsbetrieb, Confezione Florence, in dem ich arbeitete, gehörte einer deutschen Firma, die es längst nicht mehr gibt. Der Unternehmer, Herr Jüptner, hatte mit dem Bürgermeister aus Calenzano (damals ein entwickelungsgeförderter Ort, heute Luxuswohngegend der beiden Städte zwischen Florenz und Prato) einen steuerfreien Vierjahresvertrag ausgehandelt. Die eingestellten Arbeiter waren meist gelernte Schneiderinnen. Prato, die aufstrebende Textilstadt, war vor der Haustüre, und es dauerte nur wenige Monate, bis wir außer der Produktion auch alle Kollektionen dort erstellten.
Wir, die wir in den Jahren unsere väterlichen Flure verließen, um im Ausland tätig zu sein, läuteten da schon die Bekleidungsglobalisierung ein; wir wussten das nur noch nicht, das ging uns erst später auf, als längst andere diesen Verdienst für sich gebucht hatten, als einer wie ich schon drei erwachsene Kinder, die keine linksrheinischen Rheinländer, sondern Florentiner waren, hatten.
Aber kehren wir zurück zum Jahre 1962, - da hatten sie die Mauer quer durch Berlin gerade erst gezogen – und zu der italienischen Mode, die ausschließlich im sala bianca des Palazzo Pitti gezeigt wurde. (Ich konserviere davon noch ein einziges Foto, das mich als kleinen Modellmacher in der ersten Reihe unter den Laufsteggaffern zeigt.) Mit der Modeglobalisierung wie das heute ist, war das damals nichts. Da gab es noch einen Unterschied zwischen den französischen und italienischen Klamotten. Zwischen der deutschen Mode, (wenn es die denn jemals gegeben hat oder was man darunter verstehen wollte) und der italienischen klaffte eine große Lücke.
Ich erinnere mich noch sehr genau einer Feststellung meiner ersten Lebenspartnerin – ich war erst 2 Jahre verheiratet, wenige Monate in Florenz und trank mit ihr einen Kaffee bei gigli – als sie sagte: „Du, ich muss Dir was sagen, ich habe noch nie so viele, so gutaussehende Männer wie hier gesehen,“ und mit einem fast entschuldigenden Blick auf mich, „und so gut gekleidete!“ Natürlich hatte ich das längst bemerkt, wenn auch meine Augen mehr den Florentinerinnen folgten: „Da müssen wir Teutonen uns gewaltig anstrengen, um mit denen gleichzuziehen,“ antwortete ich. Sie machten es anders, lockerer, nicht so steif wie in deutschen Landen. Ihr Verhältnis zu den Farben, besonders zu den Farbkombinationen, war anders. „Das muss ich lernen“, sagte ich mir, und fand eine Lehrmeisterin, die Artprofessorin einer kleinen Modeschule war, die mir in Abendstunden Unterricht erteilte. Eine liebenswürdige ältere Florentinerin, mit der ich schnell Freundschaft schloss. Doch als sie mich nach wenigen Monaten mit den Worten: „Dir kann ich nichts Weiteres mehr lehren!“ entließ, machte mich das zwar glücklich, überzeugte mich aber nicht.
Das Mittag- und Abendessen nahmen wir im einzigen Restaurant, im borgo hoch über Calenzano ein. Die Firma hatte mit dem Besitzer einen Pauschalpreis ausgehandelt. Es war Ende Januar 62 und ich war in langen Unterhosen und dickem Paletot angereist, und saß mit aufgekrempelten Hemdsärmeln am offenen Fenster, mit Fernblick auf Florenz – heute ist die Sicht mit allzu viel Zement verbaut – und Nahblick auf die Speisen vor mir. Schon alleine die Reihenfolge des Aufgetragenen war kreativ: antipasta, (ein Glück, dass man mich vorher informiert hatte; ich hätte das glatt schon für die Hauptspeise gehalten) Hausgemachte tagliatelle al sugo , (die hielt ich für durch die Mangel gedrehte Spaghetti) bistecca alla fiorentina mit patate arrosto und piselli. Das Schöne war, dass die Kartoffeln und die Erbsen auf einen separaten Teller serviert wurden und nicht zusammen mit dem Steak auf einen Teller gepappt. Und das alles mit der traditionellen Chiantiflasche neben mir. Dann kamen der Obstsalat, die Grappa und der Kaffee. Das einzig Störende waren unsere eigenen, aus Bayern kommende Bandleiterrinnen, die den Chianti mit Zucker süßten, eine weitverbreitete Kulturschande aus deutschen Landen („Wein muss lieblich sein“) Damals geschah das noch mit echtem Zucker, heute darf es billiger Chemiezucker sein! Ich denke, dass ich da schon den heimlichen Entschluss gefasst hatte, in diesem kreativen Land zu bleiben, wagte aber noch nicht daran zu glauben.
Das kam erst nach einem Besuch der fünf italienischen Bekleidungsindustriellen in unserem Calenzaner Betrieb. Sie kamen aus dem Bekleidungszentrum Empoli, etwa 30 km.von Florenz entfernt, und wollten sehen, was ein Deutscher Betrieb in ihrem Lande macht. Ich war da schon ein Jahr im Schönland, konnte sie herumführen und mit ihnen plaudern.
Danach hagelte es Angebote. Ich wusste da noch nicht, dass es in der Toskana noch keinen Professionisten in meiner Branche, mit meiner Ausbildung gab (das kam erst später) und hatte die Auswahl. Ich suchte mir die Fa. Zani aus, einen Regenmantelhersteller, der unbedingt Damenoberbekleidung herstellen wollte.
Es war die Zeit des groβen italienischen Regenmantel-Booms. Als Zani einen Deutschen Vertreter suchte, den ich ihm vermittelte, kam der sogleich mit einem Auftrag über 100.000 Nylonmäntel in einem einzigen Modell in nur zwei Farben an. Wir verdoppelten die Produktion und lieferten sie. Diese Mäntel gingen nicht hängend an den Kunden, sondern gefaltet und eingepackt wie ein klassisches Hemd. In Schachteln mit einem aufgedruckten Zebra, wie ein Geschenk.
Für Zani entwarf ich dann die Damenoberbekleidung, wie ich es bei „Hommel & Klatt“ gelernt hatte, und die dann so erfolgreich war, dass die Gebrüder Lebole auf mich aufmerksam wurden und mich in ihren Betrieb nach Arezzo holten. Sie waren bereits die N° 1 in der Herrenoberbekleidung und wollten es auch für die Damen werden. Nach 4 Jahren wurde ich der Chefstylist des Unternehmens und arbeitete für die Gebrüder 9 Jahre, solange sie noch die Besitzer waren. (Siehe auch meine Lebolestory aus meinen Schönlandgeschichten)
Der Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Lebole kann ich nur noch Tränen nachweinen. Solch fantastische Unternehmer habe ich nur noch ein einziges Mal, in den Gebrüdern Hans-Emil und Dieter Wurster, der Fa. Tweans (Jeans and Jacketts) aus Metzingen angetroffen. Auch für sie stylte ich 9 Jahre die Kollektionen.
Aber da hatte ich mein Operationsfeld wieder zu 50% nach Deutschland verlagert und operierte mit einem Mitarbeiterstab von beiden Ländern als freischaffender Designer.
Meine erste Lebenspartnerin, Mutter meiner drei Florentiner Kinder, wollte unbedingt wieder in ihrem Geburtslande leben und so pendelte ich zwischen Nord und Süd hin und her.
Doch zuerst konzentrierte ich meine freiberufliche Tätigkeit auf meine Wahlheimat. Mein Bekanntheitsgrad war durch meine Arbeit für LEBOLE – EUROCONF so gestiegen, dass es Angebote aus allen Ecken hagelte, und ich mir die Besten aussuchen konnte. Dabei konzentrierte ich mich am stärksten auf das Bekleidungszentrum Empoli, das ich von meinem Sitz in Florenz am Morgen gut erreichen konnte, um am Abend nicht auf die Florentiner Nächte zu verzichten. Teilweise stylte ich für 4 Bekleidungsunternehmen – vor allen Dingen im aufstrebenden Lederdesign – und nicht immer für die lukrativsten Jobs; ich entschied mich mehr für die Arbeiten, die mir stilistisch mehr Freude versprachen. Im Empolizentrum lernte ich den damals noch unbekannten, sympathischen Gianni Versace kennen, der dort seine ersten stilistischen Schritte unternahm, und dem ich hin und wieder die Kollektionen seiner Kunden verbessern durfte. (Leider musste er ein frühes und schreckliches Ende erleben. Er wurde von der amerikanischen Mafia hingerichtet.)
Der erste Versuch, eine Deutsche Marke zu stylen, verlief gleich im Sande. Der Unternehmer hatte mich auf der Pitti Uomo angesprochen, und da er, wie mir schien, nicht von der Sorte die Gratisstyling suchen, aussah, vereinbarte ich ein Treffen mit ihm in seinem Betrieb in der Nähe von Frankfurt.
Ich hatte, um termingerecht bei ihm zu sein, in Österreich bei Freunden übernachtet und reiste bei denkbar schlechtem Wetter an. Auf der Autobahn schoben wir uns langsam unter Schneegestöber vorwärts und ich war mehrmals schon dabei, aufzugeben, aber dann erreichte ich das Werk doch noch, allerdings mit 20 Minuten Verspätung. Bis ich dem Chef unter die Augen trat, waren mit den üblichen betriebsinternen Verzögerungen weitere 20 Minuten vergangen, und der Groβunternehmer sah noch vor der Begrüßung auf seine Armbanduhr: „Hatten wir nicht vor 40 Minuten unsere Verabredung?“ „Und es war auch die Einzige, die wir hatten und je haben werden,“ belehrte ich ihn. Und ohne ihn weiter zu Wort kommen zu lassen, sagte ich ihm, wie schwierig die Anreise war, was ich dabei riskiert hätte, und das Zuspätkommen zu meinem Image gehöre. „Sehen Sie, wenn wir eine Verabredung am Montag haben, kann es sein, dass ich am Dienstag ankomme, und deshalb passen wir nicht zusammen.“ Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als mir die Spesen zu erstatten und mich zu entlassen.
„Das fängt gut an,“ sagte ich mir draußen und noch immer bei starkem Schneegestöber. Aber dann erinnerte ich mich, in der Nähe einen Kollegen zu haben, und fuhr hin. Es wurde dann noch ein lustiger Abend, bei dem wir viel über die deutschen Klamottenunternehmer polemisierten und lachten.
Ich hatte da plötzlich mit Leuten zu tun, die dir sagten. „Bei uns haben Sie absolut freie Hand, wir brauchen Kreativität, machen Sie uns Mode!“ Das ist genau das was du brauchst, dachte ich, das ist (wäre) ja fantastisch, wenn in den weiteren Monologen nicht Sätze gefolgt wären wie diese: „Wir sind ein Haus mit Tradition, das einen Stil verkörpert….die Kunden verlangen unseren Stil….der Kundenstamm erwartet von uns….“ Mit anderen Worten, du sollst ihre alten Klamotten aufbügeln. Sie sagen dir nicht: „Das geht bei uns nicht,“ was noch das annehmbarste Argument gewesen wäre. Sie hätten dir sagen müssen, dass sie das nicht umsetzen können oder wollen, dass ihnen einfach dafür die Courage fehlt. Nein, sie sagten dir: „Das akzeptiert der Markt nicht!“ Denn sie sind ja der Markt, sie machen ja die Mode, die der Markt akzeptieren muss. Freilich konnte es dir bei denen auch passieren, dass sie dir zwei Saisons später das von ihnen abgelehnte Design als nicht für sie Gestyltes vorhielten, weil sie inzwischen ähnliches bei der Konkurrenz gesehen hatten: „So was hätten Sie uns machen müssen!“ Es hilft nicht, dass du Ihnen ihren Irrtum aufklärst.
Einem bekannten Herrensportswearfabrikanten, dem ich viele Jahre die Kollektionen stylte, jede Saison 30 und mehr, neue und verschiedene Sportswearjacken. Bekanntlich hat ein solches Bekleidungsstück zwei Ärmel, meist 4 Taschen, einen doppelten Verschluss und an Stelle des Kragens auch mal eine Kapuze oder beides zusammen, und ein schönes Innenleben; ist aber ein praktisches Kleidungsstück, das der Stylingbreitseite keine unerschöpflichen Varianten bietet, nachdem die verschiedenen Materialien ausgeschöpft sind.
Trotzdem gelang es mir mit meinen hervorragenden Mitarbeitern, mindestens 30 verschiedene pro Saison, aufs Designpapier zu bringen. Wunderbar, denkste! Die wurden dann vom internen Kreativteam so abgeschminkt, („Das ist zu teuer, das ist zu aufwendig, das verstehen die Kunden nicht!“ Letzteres sagten sie immer, wenn alle anderen Argumente erschöpft waren) dass sie hinterher so aussahen, wie die aus der vergangenen Saison.
Trotzdem konnten wir einmal einen Volltreffer landen, der sich von allen anderen abhob. Der lief und lief und lief, und wurde hundertfach von der Sportswearjackenkonkurrenz, die ja nicht schläft, kopiert. Eine besonders gelungene Kopie wurde uns zwei Saisons später vom Verkaufsleiter unter die Nase gehalten, mit dem Hinweis: „Solche Jacken müsst Ihr uns stylen“! Meine beste Mitarbeiterin wollte ausflippen, hätte ich nicht rechtzeitig mit meinem Fuß unterm Tisch ihr Knie erreicht.
Noch lustiger ging es beim gleichen Kunden bei einer Etikettengeschichte zu! Die Firma hatte mehrere Marken, zu denen wir individuelle Etiketten entwarfen. Das machten wir für gute Kunden gratis. (Eine meiner Mitarbeiterinnen war nicht nur eine hervorragende Stilistin, sondern auch Grafikerin, und war für unsere Stylingvorlage mit angereist.) Nun traf es zu, dass der Gebietsvertreter einer europaweiten Etikettenfirma seine Kollektion vorlegte und wir dabei sein konnten.
Der Vertreter, ein überaus freundlicher Herr, gab sich auch alle Mühe, uns die umfangreichen Neuheiten zu unterbreiten. Meine Mitarbeiter und ich hätten mit Sicherheit gute Vorschläge für die Marken meines Kunden gefunden, wenn das gefragt gewesen wäre, aber das schien meinen Kunden nicht zu interessieren. Sie schauten gar nicht richtig hin; sie wollten die Etiketten der großen Namen sehen! „Das haben Sie dann nicht gesehen,“ sagte der Freundliche mit vieldeutigem Blick, und zeigte uns diskret die Neuesten von Boss und Bogner. Es war nichts Überwältigendes, was ich da sah, aber alleine die beiden Namen hatten meinen Kunden total überzeugt, und er war nicht mehr zu bremsen: „Machen Sie uns bitte etwas aus beiden Etiketten zusammen!“ Was mich am meisten dabei verblüffte, war die Selbstverständlichkeit, mit der er das verlangte. Herr Gebietsvertreter warf mir einen verzweifelten Blick zu. Ich glaubte in den Boden versinken zu müssen, aber das ging nicht, ich musste meine beiden erbleichten Mitarbeiterinnen stützen, besonders die, die mit dem Umschlag mit unseren gestylten Etiketten auf dem Schoss neben mir saß.
Ich weiß nicht mehr, was ich alles versuchte, um die Situation zu retten, und auch nicht mehr, welche diplomatische Lösung ausgeknobelte wurde. Die Stimmung war dahin. Sie kam erst langsam beim Abendessen wieder zurück, als ich nach und nach beim Weine meinem Kunden von unseren kreativen Etikettenleistungen erzählte, und am Ende die Resultate unter seine Augen legte. „Das haben wir alles zusätzlich und gratis für Sie gestylt," und damit hatte ich ihn endlich überzeugt. Das tat ich aber nur aus Liebe zu meinen Mitarbeiterinnen
Doch im Groβen und Ganzen mochte ich diesen Kunden, der pünktlich zahlte und uns in die besten schwäbischen Restaurants führte, sodass es mir nicht besonders schwerfiel, ein paar Tage auf den Mediterranen Cibo zu verzichten.
Doch wie das Bekleidungsleben so geht, mein Kunde wurde von einem happigen Größeren (nein, es war diesmal nicht Steilmann) aus dem Norden geschluckt und ich freute mich, mit meinem Team mitgeschluckt zu werden. Das schien auch zu Anfang eine Bereicherung beiderseitig zu sein. Der Groβe hatte gerade die Marke Pierre Cardin (Piero Cardin) in seiner Markensammlung für die Herrensportswear aufgenommen.
Für einen Moment hatte mich das erschreckt, nicht etwa wegen des Stylings, – dafür war ich bestens organisiert, und mein Team hatte einen Freudensprung gemacht, als es das erfuhr – nein, der große Meister hatte nach dem damaligen Stand (wie ich in einer Fachzeitschrift gelesen hatte) weltweit 900 Lizenzen vergeben. Ich rechnete mir aus, das Herr Cardin auch bei Verzicht auf das Stylen und Präsentieren seiner eigenen Kollektionen höchstens drei Stunden Zeit pro Jahr für jede Lizenz hätte, und ich kaum eine Chance, ihn je zu Gesicht zu bekommen. Aber dann schob ich meine Gedanken einfach zur Seite und stylte für seinen großen Namen.
Und wider Erwarten bekam ich ihn in den Jahren, in denen ich für PC die Sportswearkollektionen entwarf, ein einziges Mal, bei dem man ihm seine Kollektion vorführte, flüchtig zu sehen. Der Meister schaute gar nicht hin, fand aber alles hervorragend, unterhielt sich dabei großartig mit der Geschäftsleitung, und bedankte sich bei ihr. (Ich hätte mich gerne mit ihm in seiner Muttersprache unterhalten, fand aber keine Gelegenheit dazu.)
Ich hätte auch gerne für meinen Kunden mit dem PC – Label weitergestylt, wenn nicht eines Tages der Verkaufsleiter, der mir gut gesinnt war, ausgewechselt wurde. Der Neue war von deutschem Namensadel, Müller genannt, und schien gleich mit der Ansicht seine Stellung angetreten zu haben, dass Kopieren der Konkurrenzmodelle billiger als Selbststylen sei, just in dem Moment, in dem die Firma – der Unternehmer war ein bekannter Kunstsammler – in der Fachzeitung mit: MODE und KUNST für seine Marken warb. Müllermann wollte dann doch nicht sofort aus dem Vertrag aussteigen und ließ sich von uns auf die Florentiner Stoffmesse führen.
Ein bekannter Prateser Stoffhersteller hatte seine Artikel in Prototypen (einige davon kamen aus meinem Studio) zu besseren Stofferkenntnissen ausgestellt. Da kam Herr Müller auf die grandiose Idee, dass wir die alle für ihn kopieren sollten, und zwar sofort auf der Stelle, denn sein Rückflug war schon am nächsten Tag. Ich musste alle Überredungskünste aufbringen ihn davon abzubringen, und auch diesmal tat ich es nur, um meine beste Mitarbeiterin nicht zu verlieren.
Das hatte ich gerade noch so hingekriegt, aber dann machte ich alles falsch! Beim nächsten Besuch (es kann auch der übernächste gewesen sein) fand ich im Heiligtum des Unternehmens auf dem Firmenhof einen aufgeschütteten Steinhaufen vor, der mich an die Trümmer nach dem Kriege erinnerte. Auf meine erschreckte Frage, was das soll, wurde ich belehrt, dass das ein Kunstwerk sei, für das die Firma eine Horrorsumme ausgegeben hätte. Die Angst, ihn mit meinen Sportswearjacken zusammen in Mode und Kunst zu sehen, muss mich getrieben haben ein falsches Wort am richtigen Ort zu sagen; aber schon alleine den Steinhaufen nicht als Kunstwerk identifiziert zu haben, muss bereits das Ende meiner Stylingtätigkeit besiegelt haben.
Vielleicht aber hatte auch der Unternehmer oder die Generaldirektion so viel für den Steinhaufen ausgegeben, dass dem armen Müller nur noch ein Taschengeld für die Nachempfindungen übrigblieb, und er sich meine Arbeit nicht mehr leisten konnte. Nur MODE und KUNST blieb!
Gutes Styling zu leisten, für das andere die Lorbeeren einheimsen, war da längst zur normalen Administration für mich geworden. Was macht ein großer Designername, wenn er etwas Ähnliches wie sein ebenso großer Kollege in die Modewelt setzen möchte? Kann er zu seinen unbekannten, meist schlecht bezahlten, und ihm voll ergebenen Hausstilisten sagen: „Seht mal was der – es folgt der Name seines Kollegen, den er Nachempfinden möchte – macht, könnt Ihr mir nicht was Ähnliches machen? Oder sogar ein Modellkleidungsstück von dem auf den Tisch werfen: „Schaut, was der macht, und macht mal was Schönes draus!“ Nein, das wäre töricht und tödlich, das kann er nicht machen!
Aber was macht er? Er geht einfach in eines der Ateliers, so wie ich eines habe, und legt die Teile zum Nachempfindungsstylen vor. Das geschieht natürlich nicht in Gegenwart der Mitarbeiter des Atelierbesitzers und wird auch mit bis zu sechsseitigen Verträgen abgesichert, damit niemand davon erfährt. Und da es keine Frage des Honorars ist, funktioniert es ausgezeichnet, damals wie heute. Das letzte Mal, als ein Großer so etwas von mir verlangte, einigten wir uns schnell auf eine Kollektion von dreißig Modellteilen. Auf meine erstaunte Frage, wo der Vertrag, den ich unterzeichnen müsse, bliebe, winkte er gelassen ab: „Nicht nötig, ich habe Vertrauen zu Dir, Du bist ein seriöser Professionist!“ Und das fand ich so gut wie das Honorar, das er mir für die Arbeit zahlte.
Wie man gutes Styling vernichtet, hatte ich ja schon oft erlebt, aber nichts hat mich so sehr überzeugt wie das von Heidemann.
Meine Freunde Meerkötter und Niestrath hatten mich in die Men’s Liberty geholt, wo ich mit lieben Kollegen wie Barbara van Dyk und Sabine Volkens zusammen stylen durfte, was eine freudige Bereicherung war. Schon bei meiner Vorstellung hatte sich Willi Heidemann an mich gewandt, um sich von mir die Hosenkollektionen stylen zu lassen. Willi war ein aufgeschlossener, kreativer Typ, und die Zusammenarbeit klappte hervorragend, solange seine Schwester sich nur um die Damenhosen kümmerte. Aber dann sah die Unternehmerin, was ich in den Herrenhosen bewegte und wollte das Gleiche auch für die Damen haben und ich übernahm auch die Hosen des schönen Geschlechts.
Willi war voll des Lobes über meine Arbeit aber unzufrieden mit der Präsentation. „Wie kann ich dem Schulten die Schau stehlen?“ fragte er mich verzweifelt! (Schulten stellte damals mit seiner Powerschau John Slim auf der Messe alle anderen in den Schatten.) Und ich empfahl ihm, die Hosen mit kreativen Oberteilen zu präsentieren. Begeistert sagte er zu und so stylte ich zu allen Hosen die passenden Oberteile, die wir dann noch schnell vor der Messe im Atelier zusammenschusterten. Die richtigen Oberstoffe konnten wir nicht mehr besorgen, dazu war es zu spät, also nahmen wir einfach die Hosenstoffe in den passenden Farben dazu.
Die Schau erreichte voll den erwarteten Erfolg, aber dann wollten die Kunden unbedingt auch die Oberteile haben und die Heidemänner hatten schon zugesagt, bevor ich ihnen flehentlich abriet. Die schweren Hosenstoffe waren für diese Oberteile ungeeignet! Aber was sollte ich machen? Ich war nicht der Unternehmer und so schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf die neue Saison. Und die wurde mit echten Oberteilen gemacht, die fortan den Heidemannerfolg krönten. Schlecht kann meine Arbeit nicht gewesen sein, denn sie ließen mich 4 Jahre lang ihre Erfolge stylen.
„Bei Heidemann ist Frau Gerhards der kreative Teil“, (auch wenn das meiner Meinung nach mehr ihr Bruder war) sagte man in der Branche, und den Titel wollte die Unternehmerin nicht verlieren. Und damit tauchten auch die ersten Konflikte auf. Aber das war ihr Problem, ich wollte den Erfolg und der stellte sich auf der Stelle ein. Die Messepräsentation war ein voller Erfolg und die Fachpresse voll des Lobes. Dass dabei nur von der Firma und den Unternehmern und nicht vom Stylisten die Rede war, störte mich nicht weiter. Ich wollte den Rummel nicht und die Bekleidungsfachleute, die mich interessierten, wussten ohnehin, dass ich der Kreative war.
Ich will aber auf keinen Fall hier den Eindruck erwecken, dass ich die Unternehmerin nicht für kreativ hielt; das Gegenteil ist der Fall. Wenn es darum ging, aus dem Gestylten die Kollektionen zusammenzustellen, den letzten Schliff vor der Präsentation zu geben, fühlte sich Frau Gerhards – denn sie hatte das letzte Wort - regelmäßig schlecht, erbat sich Bedenkzeit und nahm das Material zum Überdenken übers Wochenende mit nach Hause. Danach präsentierte sie beschwingt vor versammelter Mannschaft ihre Kollektion mit meinen Ideen in anderer Reihenfolge. Sehr kreativ!
(Dabei fällt mir die Aussage meines langjährigen Bekannten Herrn Piedboeuf ein, als der noch Leiter des Deutschen Modeinstituts war: „Da zeigen mir die Unternehmer ihre neuesten Kreationen und reden mir ein, wie ihnen dieses und jenes am Wochenende in einer stillen Stunde eingefallen ist, dabei weiß ich doch genau, dass das ihre Stylisten geschaffen haben.“)
Kurz vor meinem Ausscheiden bei Heidemann bugsierte mich Willi Heidemann zu meinem Erstaunen aus der Men’s Liberty. Ich hatte gerade den großen Erfolg mit bicicletta hinter mir und hätte gerne mit meinen Kollegen bei Enka weitergemacht. Ich wandte mich an Becker und Niestrath, aber die bedauerten nur, da nichts machen zu können. „Heidemann ist ein Bekleidungsunternehmen, das die Organisation mitträgt und mitbestimmt, und sie möchten das Styling ihres Stylisten nicht mit anderen aus der Organisation teilen.“ Das hätte ich verstanden, wenn mein Ausscheiden aus der Fa. Heidemann nicht schon eine beschlossene Sache gewesen wäre. Frau Gerhards duldete keinen starken Mann an ihrer Seite, und stellte eine junge unerfahrene Stylistin ein. Ich sah sie dann jedes Jahr mit einer neuen, meist gerade von der Schule kommenden Stylistin (Anfängerin), für ihre Damenkollektionen auf den Stoffmessen, derweil die Herrenkollektionen immer schlechter und kleiner wurden, bis sie am Ende ganz verschwanden.
Doch irgendwann muss sich bei Willi Heidemann die rebellische Ader gezeigt haben, und er wandte sich wieder an mich, um zu retten, was noch zu retten war. Diesmal wollte ich jedoch besser dastehen und ließ mir von ihm carta blanca geben; vor allen Dingen keine Intervention seiner Schwester bei der Kollektionsgestaltung.
Wie das aussah, konnte ich gleich bei der zweiten Kollektionsbesprechung in meinem Florentiner Studio erfahren. Willi reiste mit komplettem Team an und stellte mir seinen neuen Verkaufsleiter vor.
Der Neue hatte bis zu diesem Tage nur Autos verkauft. Nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte, nur der gute Mann muss sich bei gewissen Klamottenleuten informiert haben, wie man in der Bekleidungsindustrie Kollektionen entwirft, und präsentierte mir stolz ein halbes Dutzend, kurz zuvor in der Innenstadt gekaufte Hosen als Kollektionsbasis, die ich dann zu stylen hätte. Vielleicht wollte er mir auch nur die Arbeit erleichtern? Ich verstand sofort die Sinnlosigkeit, ihm die Arbeit eines Stilisten zu erklären, und bat Willi Heidemann die Besprechung zu verschieben. Als mir dann auch noch seine Schwester bei unserem freudigen Wiedersehen sagte: „Wie schön, dass Sie wieder für uns stylen. Machen sie erst mal alles wie Sie denken, dann interveniere ich,“ gab ich auf. Willi Heidemann glaubte, mir kein Honorar zahlen zu müssen, und ließ mir keine andere Wahl, als ihn vors Gericht zu holen, um auch noch einen Prozess mit mir zu verlieren.
Porträt eines Nichtrauchers