Wie schade! Damals wie heute bin ich der Überzeugung, dass Willi & Willy gemeinsam in der Herrenmode einiges hätten bewegen können. Wir brauchten nur da weiterzumachen, wo wir mit den Oberteilen dem Schulten die Schau gestohlen hatten.
Aber als Unternehmer wird man nicht geboren; man wird es, wenn man das Zeug dazu hat, wie die Gebrüder Lebole aus Arezzo oder die Gebrüder Wurster aus Metzingen
Tweans „Jeans und Jacketts“:
In Metzingen fast zu Hause blieb es nicht aus, auch einige Leute von Boss kennenzulernen, die nicht immer den besten Eindruck auf mich gemacht haben. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich eine gewisse Hochnäsigkeit in Teilen der Deutschen Bekleidungsindustrie nie verstanden habe.
Irgendwann hatte mich einer von diesen abgehobenen Leuten nach etwas Negativem über die von mir stilistisch betreute Firma Wurster gefragt, und ich hatte verzweifelt nach einer befriedigenden Antwort für ihn gesucht. Selbst heute, nach vielen Jahren scharfen Nachdenkens, fällt mir nur Positives ein! Fragt mich jemand nach dem besten Jeanswäscher aus dieser Zeit, so fällt mir sofort der Name Dieter Wurster ein. Er war der Erste, dem der unregelmäßige Weißabrieb gelang.
Sein Bruder Hans-Emil hatte mir bei meinem ersten Besuch gesagt: „Wir machen praktisch nur eine Jeanshose, die alle unsere Konkurrenten machen, wir wollen davon herunter! Wir wollen modische Jeanskleidung machen!“ Das war eine klare Aufgabe, die ich in den nächsten Jahren dank der hervorragenden Zusammenarbeit mit den beiden Unternehmern erfüllen konnte. Als ich nach drei Monaten Arbeit noch keine Gehaltsforderung gestellt hatte, sah mich Hans-Emil mit einem Anflug von Verzweiflung an: „Aber Herr Bergers, Sie brauchen doch irgendwann mal Geld?“ Das gefiel mir so gut, dass ich neun Jahre für ihn gearbeitet habe.
Die Wurstergebrüder stellten mir in den letzten Jahren meiner Tätigkeit die hervorragende Stylistin Sabine Zee zur Seite, die auch nach meinem Ausscheiden aus der Firma die stilistische Arbeit mit großem Erfolg weitermachte.
Nicht ganz so großartig fand ich meinen stilistischen Trip bei Puma. Mein Freund Ulrich Dissars, Exmitarbeiter von Heidemann, hatte mich dem Herrn Grundmann, dem damaligen Manager von Puma, für das Stylen seiner neuen Kollektion PUMA LIFE empfohlen. Um es gleich zu sagen: ich war bis auf den tiefsten Grund meiner Stylingseele begeistert. Ich hatte dafür die besten Voraussetzungen und einen hervorragenden Mitarbeiterstab. Eine informale junge Kollektion in der Deutschen Herrenoberbekleidung: was Besseres konnte mir nicht geschehen, und das auch noch mit einem großen Namen dahinter, der den bestmöglichen Erfolg versprach. - Denkste!
Die erste Kollektion, auch wenn sie in zu kurzer Zeit hergestellt war und nicht mit der allerbesten Prototypherstellung, war ein voller Erfolg. Ich hatte ihnen zur Messevorstellung den Schlager: „Life is Life“ vorgeschlagen, mit dem man die Präsentation untermalte. Alle waren begeistert! Herr Grundmann machte mir die schönsten Komplimente, aber dann war es auch schon vorbei! Ich hatte bereits die zweite Kollektion gestylt, und war dabei, mit den Produktmanagern über die Verarbeitungsmethoden der Produktion der ersten zu diskutieren, da fällt mir ein Katalog mit meiner gesamten gestylten Kollektion in die Hände, und die Kollektion heißt zu meinem Erstaunen nicht mehr Puma Life, sondern Udo Jürgens Collection. Das Bild des Sängers strahlt mir auf der letzten Seite entgegen und auch der Segen an Puma, die seine Ideen glücklich umgesetzt hätte. Jürgens selbst hat mit Sicherheit nie erfahren, dass ich der Stylist seiner vielgepriesenen Kollektion war, und ich hielt es auch für überflüssig, ihn zu informieren, als ich sah, wie sich die Dinge bei Puma entwickelten.
Der Manager, den mir Herr Grundmann als interner Mitarbeiter zu Seite gestellt hatte, ging bereits seine eigenen Wege. Er hat mich zu allen Materialproduzenten, die für PUMA LIFE als Lieferanten nützlich waren, auf den Stoffmessen begleitet und sich Notizen gemacht. In der nächsten Saison sehe ich ihn mit einer Kollegin die gleichen Runden machen. Addio Puma! Es wäre so schön gewesen!
In dieser Zeit lernte ich auch den unübersehbaren Heinz Schiefer kennen, der die großartige Idee hatte, den Jeans – Modekreis zu gründen. Die Gebrüder Wurster nahmen mich als ihren Stylisten mit, und ich fand es gut, um da ein wenig mitmischen zu können.
Bis dahin gab es nur den langweiligen Herrenmodekreis, in dem der sympathische Piedboeuf den Vorsitz hatte. Heinz hatte wohl – so glaubte ich wenigstens – die verzweifelten Versuche des Herrenmodekreises, der sich redlich bemühte, etwas mehr als nur über Fassonbreiten und Taschenlängen zu reden, gesehen, und wollte etwas Jugendlicheres schaffen. Er war auch schon auf dem besten Wege, das zu tun – wenn ich nur an die Jungstylistenprämie erinnere, die er in jeder Saison einem frischen jungen Modeschöpfer verleihen wollte. Aber Heinz hatte nicht mit der Cleverness Piedboeufs gerechnet. Der Modekreisboss hatte den Cincetzky als Berater geworben – der kam von der Firma Schulten, (John Slim) der Willi & Willy die Schau gestohlen hatte – und der nichts Eiligeres im Sinn hatte, als den Jeansmodekreis ins Herrenmodeinstitut zu integrieren. Warum? Das habe ich nie so richtig in die Reihe bekommen: Eines Tages gab es den Jeans – Modekreis nicht mehr; ist ja auch überflüssig in einer globalisierten Welt, in der die roten Schuhsohlen, die am Morgen zum ersten Mal in Hamburg zu sehen sind, schon am Nachmittag in Peking und bei den Schmitzenmüttern in Hintertupfingen ankommen.
Die Viskose hatte ich bereits mit der Muttermilch in meinem Geburtsort unter der Nase. Das Werk Enka Glanzstoff (später AKZO) Oberbruch war nur wenige Kilometer von meinem Geburtsort entfernt, und je nach Windstand nicht zu überriechen. Der Viscoseprofumo (auch Gestank genannt) war teilweise so stark, dass ich auf die Idee kam, mir die Nase mit einer Wäscheklammer zuzuschließen, wenn ich mit dem Fahrrad zur Turnhalle nach Oberbruch radelte. (Von Luftverschmutzung und Umweltverseuchung war da noch lange nicht die Rede.) Im Werk arbeitete auch ein Onkel von mir, einer der Hohen Herren von Glanzstoff , wie man in meinem Geburtsort raunte. Ich hätte mir niemals vorstellen können, für diesen Koloss einmal zu arbeiten. Das kam erst als ich wieder zu 50% meine Stylingtätigkeit nach Deutschland, in die ehemals viskoseverpestete Gegend verlegt hatte. Meine Vorgängerin für Man’s Liberty war meine vielgeschätzte Kollegin Barbara Dyk. Sie hatte mir ihren Stylingstuhl mit den Worten: „Mach Du dat man, Du kannst dat besser als ich!“ überlassen. (Bei der Pressevorstellung kam auch mein erster Kontakt mit Willi Heidemann zustande) Den besten Erfolg hatte ich mit meiner Kollektion Bicicletta. Die Fachpresse war voll des Lobes, sogar die ÖTZ brachte einen ausführlichen Bericht über meine Stylingtätigkeit. Frau Jutta Heugel widmete ihr eine ganze Seite ( Siehe: ÖTZ – Ein linksrheinischer Rheinländer in Florenz). Nur ein Schreiberling, der, so glaube ich, unbedingt etwas weniger Lobenswertes über mich schreiben wollte, schrieb: „Seine Ideen schienen etwas zu weit hergeholt!“ Das könnte man durchaus auch als sehr positiv in der Klamottenbranche bewerten; war es aber nicht. Fortan schrieben alle Journalisten, die mich nicht persönlich kannten, über mich von dem Stylisten, der seine Ideen von zu weit herholt!
Meine Mitarbeit für Enka hörte aber keineswegs mit dem Hinausbugsieren durch die Heidemänner bei Man’s Liberty auf. (Ich hätte da gerne weitergemacht, der Kontakt mit meinen Kollegen gefiel mir sehr.) Mein Freund Niesstrath, der Leiter der Kreativabteilung, wollte auf meine Mitarbeit nicht verzichten. Doch zu meinem Schrecken bat er mich, die Modetendenzen für die Enka- Trendberichte zwei Jahre im Voraus zu liefern. Ich wollte sofort mit dem Argument, dass Niemand solches soweit voraussagen könne, ablehnen. Aber Kurt ließ nicht locker. „Das brauche ich unbedingt von Dir. Ich kenne keinen Stilisten der immer so modisch gekleidet ist wie Du, der soweit vorausschaut!“ Er hatte auch noch andere Argumente: Ich sei nicht der einzige, der ihm die Prognosen liefere, meine Vorausideen würde er nicht wortwörtlich übernehmen, die würden mit den Anderen zusammen erst seinen Trendbericht formulieren, auch die internen Garndesigner hätten da ein Wörtchen mitzureden. Alles Argumente, denen ich mich am Ende nicht mehr entziehen konnte. Außerdem schleppte mich Kurt bei meinen Besuchen in Wuppertal nie mit in die Unternehmenskantine, sondern in die besten Restaurants in der Umgebung, und so sagte ich denn nach der gemeinsamen Leerung einer Flasche Klingenberger und einem guten Honorar zu. Doch schon nach knapp zwei Jahren schockte mich ein Trendbericht – die Prognosen gingen an die gesamte Textil- und Bekleidungsindustrie – in dem ich wortwörtlich meine Voraussagungen wiederfand. Zur Rede gestellt lachte Niestrath nur und sagte: „Alle fanden das gut, und da nichts Besseres zur Verfügung stand, haben wir es abgesegnet!“
Doch mit der Zeit machte mir das Suchen nach dem Bekleiden für Übermorgen immer mehr Spaß. Mir half dabei auch die private Interessengemeinschaft, die ich mit Kollegen, die wie ich für die Bekleidungsindustrie stylten, ins Leben gerufen hatte. Als die Klamotten lockerer, voluminöser wurden, und wir für die fließenden Stoffe wieder die Viskose brauchten – eine Zeitlang war sie aus den Stoffangeboten verschwunden – empfahl ich der Enka in meinem nächsten Trendbericht, sie wieder der Textilindustrie anzubieten. Wie ich von Kurt Niestrath erfahren hatte, war man gerade dabei, die Viskose ganz für den Bekleidungssektor aus dem Programm zu streichen. (Enkas großes Viskoseprogramm war für die Reifenindustrie bestimmt). „Da gibt es doch tatsächlich einen Stylisten, der uns wieder die Viskose für die Bekleidungsstoffe empfiehlt,“ soll sein Kollege, zuständig für das Viskoseprogramm, in einer Besprechung gesagt haben, „der muss nicht ganz bei Trost sein!“ Auch das teilte mir Kurt mit, wie auch seine große Freude, als sich meine Empfehlung als richtig herausstellte.
„Meine Firma müsste Dir ein Denkmal setzen,“ meinte Kurt Niestrath kurz vor seinem Tode. Auch für seine Nachfolgerin stylte ich weiter die Trendprognosen, aber an Stelle der Medaille für besondere Verdienste wurden meine Honorare immer kleiner. Der Koloss Akzo musste sparen, die Krise vorschiebend. Die Nachfolgerin der Nachfolgerin der Kreativabteilung muss ihre eigenen Ideen mitgebracht oder sehr vergesslich gewesen sein. Sie hat mich nie an meinen Vertrag mit AKZO erinnert. Mir war das recht so!
Inzwischen ist die Klamottenkreativität derart verarmt, dass die Modejournalisten schon eine rotangestrichene Schuhsohle der Welt als Sensationsneuheit hinstellen. (Stell dir vor, zwei entzückende weibliche Beine bewegen sich vor dir die Stufen hinauf, und du hast das Glück, in der richtigen Augenhöhe und Entfernung dahinter zu sein – bis dahin hast du nur auf die Beine und den Po geachtet – und es blitzt urplötzlich eine rote Farbe unter den schlichten Hochhackigen hervor; nicht auszudenken, was für Sensualemotionen dich dabei überwältigen können.) Eine dieser Modeschreiberinnen, die ich liebend gerne auf den Modemessen oder in der Stadt zu einem Espresso treffe, nervt mich leider immer wieder mit der gleichen Frage: „Was gibt es Neues in der Mode?“ Weil ich sie mag, kann ich nicht mit einer Banalität, wie. „Stell mir eine andere Frage,“ oder „Das Neue ist, dass es nichts Neues gibt!“ antworten. Also suche ich verzweifelt nach einer neuen Naht, nach einem neuen Garn, nach einer neuen Farbtechnik, einem neuen Schnitt, ihr die Kollektion zu beschreiben, die mir auf der Messe am besten gefallen hat. Vergebens! Die letzte Neuheit, die wir noch diskutieren konnten, waren die Hosen, deren unterer Leibhöhenpunkt zwei und drei Etagen tiefer gerutscht war, und sie endete mit der totalen Enttäuschung meiner lieben Freundin über meine Bekleidungsphilosophie! „Und was haben die Maurer damit zu tun?“ fragte sie irritiert. „Alles,“ sagte ich, „die haben doch nie Zeit, sich bei der Arbeit die Hosen heraufzuziehen, und das muss der gute Mann auf einer Baustelle gesehen haben. Es war die Verzweiflungstat eines Stylisten, der was Neues finden muss!“ „Und die Schriftzüge drauf?“ fragte sie, „erst las ich nur RICH, das war natürlich der Richmond, aber jetzt lese ich alles Mögliche!“ „Natürlich,“ sagte ich, „die sind doch wichtig; sie unterstreichen, dass der Arsch da unten hängt und nicht oben, wo er früher mal hingehörte. Neulich sah ich in einem Laden einen solchen Tiefhängenden mit einem langen Reißverschluss. Neugierig was darunter war, öffnete ich ihn und las in schöner Stickschrift: „fuck me“. Ich schloss ihn schnell wieder, denn es war ja der weibliche Inhalt nicht drin, um der Aufforderung nachzukommen. Und warum schlabbert ein solches Kleidungsstück nicht um Deinen knackigen Po?“ fragte ich sie. „No, no!“ sie lachte, „den packe ich lieber in Elastikjeans; das macht mich und die andern mehr an. Und Du! Machst Du die Mode nicht auch mit?“ „Meine Kunden verlangen es von mir,“ weiche ich entschuldigend aus. „Ich habe mich auf die klassischen gestürzt, die es schon ewig gibt, die Inder und Araber tragen, die die Erotikzone nicht einengen und den Wind durchlassen. Lange habe ich mich gegen die Beschriftung der Arschgegend, besonders die der hängenden, gesträubt. Erst auf massiven Druck meines besten und verärgerten Kunden habe ich ihm ein check in anstatt fuck me aufgedruckt! Und außerdem erinnern mich die Tiefarschhängenden an Haufenheini, vor allen Dingen die Hosen, die gar nicht dafür geschneidert sind, und die von ihren Trägern einfach nach unten geschoben werden!“ „Haufenheini,“ sie schaut mich wieder etwas irritiert an, „das kann doch nur einer aus Deinem linksrheinischen Heimatdorf sein?“ „Richtig! Das war ein Junge aus meiner Dorfschuljugendzeit, der nie Zeit hatte, seine Bedürfnisse im elterlichen Plumpsklo oder hinter einer Hecke zu besorgen, der es einfach in die Hose gehen ließ. Wir animierten ihn dann immerzu schneller zu laufen, und lachten über seine haufenschwere nach unten hängende, am Laufen hindernde Hose!“
Bei diesem Gespräch saßen wir bei Cavalli – in seiner Bar natürlich und nicht in seinem Laden – und neben uns befand sich eine schischifrufru (wie man unter Freunden in Florenz eine Übergestylte bezeichnet) gekleidete, chinesische Unternehmerin. Eine von denen, die in ihrem Betrieb eigene Landsleute rund um die Uhr für einen Hungerlohn beschäftigen. Sie verzehrte Schlemmerhäppchen und trank Spumante dazu. Sie hatte zugehört und hätte sich gerne an unserer Plauderei beteiligt. Wir aber ließen ihr keine Möglichkeit. Da verließ sie die Cavallibar, vielleicht etwas zu schnell, denn sie stolperte und verlor einen ihrer Superhochhackigen. Und was sehen wir? Eine grüne Schuhsohle!
„Diese Chinesen kopieren aber auch alles,“ sagte meine Freundin, „aber jetzt habe ich wenigstens etwas modeträchtiges zu beschreiben!“
Das erinnert mich wieder einmal an die leibhöhetiefen Beinkleider. Als sie aufkamen, war ich gleich als erster mit dabei. Den Bauchnabel eines weiblichen Wesens, freibeweglich über einer halbhüfthohen Hose zu sehen, ist stimulierend. Aber dann wollten sie die Leibhöhe immer kürzer haben. Einer sehr attraktiven Kundin von mir, die ihre Klamotten selbst anprobiert, musste ich eine schneidern, die auch für den kleinsten Reißer im vorderen Schlitz zu kurz war. Sie wollte mir unbedingt zeigen, dass ich einen Volltreffer gelandet hätte, zog ihren Bauch leicht ein, um mir einen Einblick zu gewähren. „Sieht man Alles?“ fragte sie, und als ich es ihr bestätigte: „Dann ist sie richtig!“
Doch nicht ganz so richtig konnte eine solche bei einer Pianistin in einem Konzert sein. Sie war so kurz, dass sie beim Hinsetzen den Blanken freigab. Als die Pianisten das merkte, spielte sie einen Chopin, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Doch das fiel keinem besonders auf; sie schauten alle auf ihren Po.
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„Schreib mal was über die deutsche Kreativität, über die Designszene in unseren Landen,“ hatten mir oft meine lieben Kollegen gesagt, „Du lebst in Italien, im Lande der Mode, Du kannst das doch am besten beurteilen, vor allen Dingen, wie die Szene in 10 Jahren aussehen wird!“ Da waren wir am Anfang der achtziger Jahre und die meisten glaubten noch, dass man auch in der BRD eine Designerszene wie in Italien und Frankreich aufbauen könnte. – Die lieben Kollegen waren alle unbekannte Stylisten, die für die Industrie stylten, so wie ich. – Ich wollte nicht, lehnte es mit den Argumenten, dass niemand solches von mir erwarte oder hören möchte, ab. Außerdem hätte die Fachpresse fast immer meine Artikel oder meine Leserbriefe abgelehnt. Vielleicht seien sie zu aggressiv oder zu pessimistisch, nicht genug klamottensoftig und unternehmerfreundlich gewesen. Doch dann habe ich mich an einem Wochenende in meiner alten Residenz in Fiesole hingesetzt, und mir einfach alles locker von der Seele geschrieben.
Als sie es lasen, waren sie schockiert! Den Willy hatten sie nur als einen Positiven kennengelernt und jetzt dieser Pessimismus. Mir persönlich schien das nicht so pessimistisch zu sein, aber meine Kollegen hatten schon entschieden, dass wir das so nicht stehen lassen könnten; das schockiere die Textilleute, die immer etwas Positives von uns Stylisten erwarteten.
Mein futuristischer Trendbericht geriet in Vergessenheit, auch für mich. Doch 12 Jahre später besuchte mich eine reizende Kollegin in Fiesole und sagte mir gleich vor dem ersten Glas Wiedersehenspumante: „Willy, ich muss Dir etwas sagen, Deine von uns allen abgelehnten Zukunftsprognosen sind nicht nur eingetroffen, sie sind übertroffen worden!“
Was die deutsche Kreativität in der Modewelt betrifft, hat es viele Versuchsartikel in der Fachpresse gegeben, die eben nur Versuche waren. Einer Antwort auf die Frage, warum es keine deutsche Designerszene gibt, ist man selten so nahegekommen, wie bei dem Artikel von Brigitte Dittrich in der Textil-Wirtschaft vom 02. 04. 1992. Doch auch da kamen mehr die Bekleidungsgroßunternehmer, die an keiner Designerszene interessiert sind, zu Wort. Die wenigen, nur der gleichen Presse bekannten Stilisten, durften ein paar Worte mitreden, sorgfältig darauf achtend, den Bekleidungsbossen nicht auf den Schlips zu treten.
Doch im Allgemeinen fand ich den schon lange fälligen Bericht sehr gut. (Und die Textil - Wirtschaft hat auch zu meinem Erstaunen meinen Leserbrief darauf veröffentlicht.) Doch auch hier fehlte die Aussage von weniger bekannten, weniger deutschunternehmerabhängigen, aber kompetenteren Stylisten. Die Aussagen eines Joop, dessen größte und einzige Modedesignneuheit im Ausrufezeichen hinter seinem Namen zu sein scheint, reichen da nicht aus. Auch als Frau Dittrich die nichtvorhandene Designerszene der Nachkriegszeit, mit Steebe&Seeger, Detlev Albers und Oestergard beschreibt, unterlag sie nur den durch die Presse bekannten Namen. Eine Nachkriegsdesignerszene hätte es durchaus geben können, aber dafür hätte man andere Modemacher gewinnen müssen, wie die sensible Beatrice Hympendahl, die energiegeladene Jil Sander, oder einen wie Hannes Friederichs, ein Kreativer, der immer nur “die Frauen anziehen wollte“ und dabei mehr Mode gemacht hat, als alle drei genannten Nachkriegsdesigner zusammen. Als Kostümbildner und Theaterschneider war er mehr im Ausland als in deutschen Landen bekannt. Nur, er hat sein Tun nie an die große Glocke gehängt, so wie es die von Brigitte Dittrich genannten Stylisten taten.
Nur wenige Wochen später wollte ich mit einem Bericht (ein Leserbrief an die Textil – Wirtschaft) nachsetzen, hatte aber damit keinen Erfolg. Er wurde nicht veröffentlicht. Ich schrieb unter dem Titel: Das schiefe Bild einer Situation.
Die deutsche Designerszene gibt es nicht, dafür aber die Bekleidungsindustriegrößenszene. Da gibt es keinen Zweifel, wer der GRÖBEFAZ (größter Bekleidungsfeldherr aller Zeiten) ist, wer ganz oben steht, wer gleich dahinterkommt, wer fast unten und wer schon ganz unten steht. Die Fachpresse berichtet uns wöchentlich über die Frontstellung, wer in der Offensive ist, wer sich auf dem Rückzug befindet und wer verzweifelt im Stellungskrieg ausharrt. (Gnädig ist man nur ein wenig mit denen, die ganz unten stehen. Über die wird man nur informiert, wenn sie den Krieg schon verloren haben, obschon die Obenstehenden längst auf den Messen hinter vorgehaltener Hand Sätze raunen wie: „Die sind schon vom Fenster weg, die wissen’s nur noch nicht!“ oder: „Bei denen boomt es so lange, bis sie pleite sind!“) Es vergeht ja auch keine Woche, in der der GRÖBEFAZ und die Generäle der Bekleidungsindustrie nicht um ihre Meinung zur Sachlage befragt werden. Dabei reden sie nur von ihren Erfolgen, dass daran auch ihre Stylisten beteiligt sind, erwähnen sie mit keinem Wort. Ihr Verhältnis zu ihren Modemachern besteht meist nur aus Hinweisen auf die erfolgreichen Modelle der Konkurrenz mit den Worten: „Die müsst Ihr mir,“ oder, „solches müsst Ihr mir nachmachen!“ Erstaunlich ist, dass das viele Stylisten bis zur totalen Selbstverleugnung mitmachen.
Auf jeden Fall: Wie die Rangfolge ist, darüber sind wir bestens von der Fachpresse informiert! Auch wer wieder ein Stück von dem und dem gekauft hat, an die potentere Gruppe abgegeben hat, sich da und dort eingekauft, in Marktanteile eingeschlichen hat! (Das scheint übrigens in letzter Zeit immer schneller zu gehen.) Auch wer zu wem geht, kann man nahtlos aus der Fachpresse erfahren, solange es sich dabei um die Einkaufs- und Verkaufsmanager handelt, und nicht – mit ganz wenigen Ausnahmen - um die Stylisten.
Doch für kostenlose Informationen sind die Bekleidungsbosse jederzeit zu haben. Vielleicht solltest du dich glücklich schätzen, wenn sie dich ansprechen, wenn sie dir mal den Cappuccino an der Piazza della Republica zahlen. Einer dieser Unternehmer schaffte es doch tatsächlich, mich auf allen Messen ausfindig zu machen und mir jedes Mal die gleiche Frage, was es Neues in der Mode gäbe, zu stellen. Ihm zu sagen, er solle sich zum Teufel scheren, ist auch für meine Edukation nicht so einfach. Aber eines Tages wurde es mir doch zuviel und ich sagte ihm: „Lila!“ Und auf seine erstaunte Nachfrage antwortete ich, dass nichts anderes als Lila laufe, für Damen und Herren, zum Morgen, zum Mittag und zum Abend, sogar um Mitternacht könne er die Diskothek nur im Liladress aufsuchen! Da verstand er endlich und bezahlte mir nicht mehr den Cappuccino bei Gigli.
Neulich besuchte mich mein Freund Leo Dieckers und hatte gleich nach der zweiten Spaghettigabel eine Neuigkeit für mich: „Die Deutschen werden jetzt die Modemacher der Zukunft!“ Das saß! Schließlich ist Leo, der sich auch gerne Leonardo nennen lässt, der Macher von UBL, die so viele Informationen einholt, und es wissen muss. Lachen wollte ich nicht unbedingt, obschon mir danach zumute war. Also ließ ich mich auf eine lange Diskussion über eine zukünftige deutsche Modemacherszene ein, und versuchte ihm zu erklären, warum die deutschen Bekleidungsunternehmer keine deutsche Designerszene wollen. Doch Leonardo ließ sich nicht beirren und erzählte mir etwas von den Bestrebungen der deutschen Bekleidungsunternehmer, eine Art Kreativzentrum unter der Schirmherrschaft der Bekleidungs- und Textilindustrie, ins Leben zu rufen. Und da solle ich mitmachen, könnte der Betreuer oder sogar der Anführer der mitmachenden Kreativgruppe sein. Leo Dieckers war so sehr von seiner Idee überzeugt, dass ich neugierig geworden bin und mehr davon erfahren möchte. Kann mir die Textil – Wirtschaft da weiterhelfen?
Soweit mein unveröffentlichter und unbeantworteter Leserbrief an die Textil – Wirtschaft. Aus heutiger Sicht – es sind inzwischen mehr als 20 Jahre vergangen – gab es für mich kaum einen Zweifel, dass es sich dabei wieder einmal um eine totgeborene Idee handelte. Aber ich wollte meinen Freund Leonardo, den ich sehr schätzte, nicht verärgern und zeigte mich interessiert. Mitgemacht hätte ich da mit Sicherheit nicht. Ich stellte mir vor, dass in diesem Verein der GRÖBEFAZ den Vorsitz übernommen hätte und ich mit seiner Tochter die Designergruppe betreuen sollte. Danke nein!
(Meinen Freund Leonardo habe ich völlig aus den Augen verloren. Man sagt, er sei in Südamerika untergetaucht!)
Und da waren auch schon die irren kreativen 80–er Jahre, in der ständig etwas in Bewegung war, in denen mich die Mitarbeit an einer nationalen Stilistenbewegung noch interessiert hätte, vorbei! (Vorbei, wie vieles, was man in den Achtzigern in unserer Branche noch hätte bewegen können; das hat man einfach verpasst!) Vorbei war auch mein einziger, zaghafter Versuch, eine eigene Linie zu stylen und zu vermarkten, wie es viele meiner Kollegen taten. Mehrmals hatte ich dazu mit einem finanzkräftigen Partner die Möglichkeit, die ich immer ausgeschlagen habe. Warum sollte ich mir das antun, habe ich mir lange Zeit gesagt. Die Industrie bezahlt dich gut, und wenn du dich selbst um die innerbetrieblichen Probleme kümmern musst, bist du nicht mehr kreativ! Sicher, wenn du einen Santo an deiner Seite hättest – Santo ist (war) der Bruder von Gianni Versace, der heute noch die Firma leitet – der dir alle anderen Probleme abnimmt, damit du dich ausschließlich um das Produkt kümmern kannst, ist es machbar, sonst nicht! Und als Stylist deines eigenen Unternehmens kann es dir auch passieren, dass dich die Klamottenmafia mit zwei Genickschüssen hinrichtet, wenn du zu schnell wächst und sie nicht respektierst!
Doch dann machte mir Umberto Olivieri ein, wie mir schien, verlockendes Angebot! Umberto kam aus dem Veneto, ganz nahe bei Venedig, das er bei Festen mit seiner eigenen Jacht besuchen konnte. Natürlich hatte nicht das Einfluss auf meine Zusage; mich interessierte mehr seine hervorragende finanzielle Lage, und seine Bereitschaft, es in ein gemeinsames Unternehmen zu investieren. Er besaß einen gut gehenden Bekleidungsgroßhandel – alleine sein Umsatz in Lederoberbekleidung betrug 80.000 Teile pro Jahr, die wir selbst produzieren wollten – und führte mich zu mehreren Produktionsbetrieben, die, nach seinen Aussagen, nur darauf warteten für ihn (uns) zu produzieren. In seinem großen Hause stellte er mir sofort ein kleines Apartment zur Verfügung. Das sah alles sehr positiv aus, zu sehr! Da kann ich meine Kreativität austoben, brauche die Wünsche meiner Kunden nicht zu respektieren, nicht mit Banken und Instituten langweilige, nervtötende Gespräche führen. Und so begann es auch: Keinen Monat später schneiderte schon die erste Lederproduktionsgruppe meine Modelle, hatte ich für den deutschen Markt – meine Familie lebte wieder in Deutschland und ich fuhr zwischen den beiden Ländern hin und her – schon einen erfolgversprechen- den Vertreter angeheuert und war mit den ersten Prototypen meiner neuen Kollektion beschäftigt, als mir zum erstenmal aufging, wieso und warum mich Umberto angeworben hatte. Er stellte mich einem spanischen Großkunden als einen seiner Stylisten vor, und nicht als seinen Partner. Auf seiner Visitenkarte entdeckte ich den Titel Modedesigner und die Kollektion, die er unserem Vertreter während meiner Abwesenheit nach Deutschland sandte, hatte er mit eigenwilligen Änderungen versehen. Unser Vertreter reagierte wütend. Als ich dann auch noch eine sehr schöne Blusen- und Kleiderkollektion in unseren Verkaufsräumen vorfand, die ein Unternehmer zur Ansicht dagelassen hatte, und die Umberto als seine eigene, gestylte ausgab, reichte es mir.
Vorsichtigerweise hatte ich mit Umberto Olivieri für das gemeinsame Unternehmen ein Jahr Bedenkzeit vereinbart. Es sollte ein Probejahr sein, um festzustellen, ob wir zusammenpassten. Doch schon nach 3 Monaten stand für mich fest, dass ich nur dieses Jahr beenden, und keinen Vertrag mit ihm unterzeichnen würde. Aber nach meinem Ausscheiden begann die Odyssee, aus der ich leicht eine meiner Schönland-geschichten hätte machen können.
In dem Jahr der Zusammenarbeit hatten wir einen Umsatz erarbeitet, der mir nach den Vereinbarungen mit Olivieri einen Erlös von 30 Millionen Lire eingebracht hätte, und den mir der Möchtegerndesigner verwehrte. Ich hätte, um allen Streit aus dem Wege zu gehen, mich auch mit der Hälfte zufriedengegeben, aber Olivieri bestand auf einer Nullabfindung, und so blieb mir nichts Anderes übrig, als einen Prozess gegen ihn zu führen. Olivieri schien sich seiner Sache, keine Lire herausrücken zu müssen, sicher zu sein. Für den Streitfall war das Gericht seiner Geburtsstadt, wo er Freunde und Einfluss besaß, zuständig. Er war Massone und besaß das Parteibuch der Sozialisten. Der Prozess dauerte 15 Jahre, und hätte sicher noch eine Weile länger gedauert, wenn ich mich nicht an Straßburg gewandt hätte. Drei Richter waren in dieser Zeit mit meinem Fall beschäftigt. Der dritte war eine junge Richterin, die eine Verhandlung um 8 Monate verschob, weil sie heiratete, und kein Richterersatz zur Verfügung stand. Die nächste Verhandlung, die nichts einbrachte, führte sie noch, aber die übernächste, die dann wiederum ein Jahr später stattfinden sollte, musste sie wieder, diesmal um 9 Monate, verschieben, weil sie schwanger war und es natürlich wieder einmal keinen Ersatz gab. Da schrieb ich verzweifelt an den venezianischen Gerichtspräsidenten, dass ich einen anderen Richter wünsche, ich fürchtete, dass Frau Richterin das Nächstemal wieder einen Gerichtstermin um ein Jahr verschieben könnte, diesmal, weil es vielleicht um ihre Scheidung ginge. Doch am Ende dieser 15 Jahre gaben sie mir Recht; sie konnten nicht anders! Moralisch war es ein Sieg, aber materiell eine Niederlage, Honorare und Spesen hatten die erstrittene Summe inzwischen völlig aufgezehrt.
Und die Moral von der Geschicht'? Im Schönland führe keine Prozesse nicht!
Die achtziger Jahre waren irre kreative Jahre. Die westliche Zivilisation hatte noch ihren Feind im Osten, die Mauer schien ewig so stehen zu bleiben wie sie stand, und der Klamottenmaulwurf China hatte noch nicht den westkapitalistischen Bekleidungsgarten unterwühlt. Ich raste zwischen meinem Wassenberger Jugendstilhaus und meinem geliebten Florenz hin und her – bis zu 100.000 km im Jahr – war auf allen Stoff- und Bekleidungsmessen zu finden. Ich kam nach Südamerika und hatte einen Kunden in Japan. Ich hatte das Gefühl, dass alle die Kollektionen von mir gestylt haben wollten, die Angebote überhäuften sich. Vieles was ich gerne gemacht hätte, musste ich ablehnen, meine Arbeitstage waren immer zu kurz! Dabei hätte ich gerne auch Autos, Möbel und Häuser gestylt, aber nicht einmal alle meine Bekleidungsideen fanden ihre Produzenten; vieles verschwand unrealisiert in den Schubladen.
Und während die Deutschen längst die gesamten Produktionsstätten in Drittländer verlegt hatten, wollte man im Lande der Mode noch lange am Selberproduzieren festhalten. Aber dann gab man auch dort, unter dem Druck der Gewerkschaften, die für ihre Arbeiter immer mehr Geld für immer weniger Arbeit forderten, nach.
Ich erinnere mich eines Gespräches in Chantilly im COQ D'OR, bei dem ich Zufallshörer wurde - Der Pariser Innenstadt müde, hatte ich mich zum Besuch der P.V. in Chantilly einquartiert, um von dort die Messe schneller mit dem Auto zu erreichen, und speiste abends in diesem hervorragenden Restaurant. – An meinem Nebentisch saß ein deutscher Bekleidungsunternehmer, der mit seinen zwei Angestellten, die ich für den Produktmanager und den Stoffeinkäufer hielt, ungeniert ein Gespräch über den heimlichen Umzug seines gesamten Produktions- traktes in irgendein östliches Land, plauderte. Offensichtlich hielten mich die drei für einen Italiener, - der Restaurantbesitzer hatte nur italienisch mit mir gesprochen – der kein Wort Deutsch verstünde.
Der Umzug sollte an einem Wochenende stattfinden, an dem die gesamte Belegschaft (von 800 Arbeitskräften war die Rede) nichtsahnend zuhause auf den Arbeitsmontag warteten. „Die Entlassungsschreiben gehen am Freitag raus und zwar per Einschreiben,“ sagte der Boss, „so, dass die Leute, wenn sie am Montag vor verschlossenem Fabriktor stehen, noch nichts in Händen halten, und aus allen Wolken fallen.“ Die gesamten Betriebsmittel könnten bis Sonntagmorgen verladen sein und noch vor Mitternacht die deutsche Grenze hinter sich lassen. Es war nicht nur die Tatsache, dass sie eine Belegschaft von 800 Leuten auf diese Art auf die Straße setzten, die mich störte, es war die widerliche Art, wie sie über die Arbeiterschaft herzogen, wie abfällig der große Unternehmer von den kleinen Leuten sprach, wie ihm seine Mitarbeiter Beifall zollten, wie sie gemeinsam auf das Gelingen tranken. Das Essen im COQ D'OR war wie immer hervorragend, doch an diesem Abend schmeckte es mir nicht besonders!
Kuriositäten gab es in diesen Zeiten zuhauf. Oftmals wusste ich nicht, soll ich mich drüber ärgern oder nur lachen? Die Pitti Uomo in Florenz war meist so stark besucht, dass man nur noch mit Schieben durch die Korridore zwischen den Ausstellern kam. Doch die Deutschen Textilzeitungen schrieben beharrlich von mäßigen Besucherzahlen auf der Pitti Uomo. Kein Wunder! Vorrang hatten die Deutschen Messen, denen man so hohe Besucherzahlen zuschrieb als sei man auf der Herrenmodemesse in Florenz.
Und dann war plötzlich der „Hugo“ da! Boss hatte nicht nur den Hugo Boss, sondern auch einen Hugo, der, so wollte man der Bekleidungswelt mitteilen, habe im Markt gefehlt. Die Alternativherrenoberbekleidung, die Cinque längst von den Italienern nachempfunden, erfolgreich im Markt präsentierte. (Auch noch zu Hugozeiten und danach.) Mein Freund Oskar Bracci Mangani – das ist (war) der PM-Spezialist von Lebole mit dem Slogan: Ho un debole per l’Uomo in Lebole – wollte das von mir erklärt haben. Er hat das bis zu seinem Lebensende nicht verstanden. Ich schrieb dazu einen Faxbrief an Herrn Littmann, dem damaligen Boss von Boss. Wie erwartet, bekam ich darauf keine Antwort (Siehe: Mein Schreiben an Littmann, Hugo Boss).
Die irren Achtziger brachten die seltsamsten Blüten in der Kreativität hervor. Ich sah aggressive Nichtkönner nach oben steigen und ausgezeichnete, gute, aber bescheidene Könner auf der Strecke bleiben.
Mein Freund Verde von Mulas - damals war Mulas noch eines der ersten Florentiner Trendbekleidungsläden; seine besten Kunden seien die Kopierer der deutschen Bekleidungsindustrie, die alle Neuheiten wie verrückt an den Messetagen bei ihm kauften, sagte Verde immer - bat mich eines Tages mit aufgeregter Stimme um einen Besuch in seiner Boutique. Das machte er immer so, wenn etwas Besonderes anstand, und ich fuhr sofort zu ihm in die Stadt hinunter.
Diesmal war der Grund eine exzellente T-Shirt- und Sweatshirt –Kollektion. Sie hatte so hervorragende Druck- und Stickmotive, dass mir ein fantastico entfuhr. Mein Freund Verde hätte gerne alle geordert, konnte aber nur die Hälfte in seinem Einkaufsbudget unterbringen und brauchte meine Hilfe zum Aussuchen. Ich lernte dabei auch die Stilistin kennen, ein Neuling mit Volltreffer, eine sympathische bescheidene junge Frau, im Hauptberuf Kindergärtnerin, und gratulierte ihr zu ihrem Debut.
Wenige Monate später traf ich auf einen enttäuschten Verde. Die Firma hatte nicht nur die bestellten Teile nicht geliefert, sie hatte sie erst gar nicht produziert, aus finanziellen Gründen.
Die begnadete Stilistin traf ich später zufällig auf einer Kindergärtnerinnenstelle wieder. Man hatte ihr erzählt, dass der Verkauf nicht zustande gekommen sei, ihre Entwürfe hätten nicht gefallen. Vom Styling wolle sie nichts mehr wissen!
Von der verhinderten deutschen Nachkiegsklamottendesignerszene geht mein Blick zu Deutschlands allerliebstem, motorisiertem und angebeteten Heiligtum, dem Blechkostüm. Heiligtum, weil ich Leute kenne, die nachts nicht schlafen können, weil ihnen an ihrer Blechkiste eine kleine Delle, die man nur mit dem Vergrößerungsglas sehen kann, und die ihnen ein anderer, ein böser Blechkistenfahrer zugefügt hat, ohne seine Visitenkarte für die Unfallmeldung zu hinterlassen. Heiligtum, weil ich Leute kenne, die den ganzen Sonntag damit verbringen, ihren Wagen aufzupolieren. Falsch, wenn sie sagen, dass ihr neuester Blechschlitten nur der Beförderung ihres Körpers von einem Ort zum andern dient. Das Auto ist ihr Prestigesymbol, ihr Augapfel, ihr Luxusdress, den sie sich mit dem Einsteigen überziehen. In ihrem Auto fühlen sie sich besser, sind sie was Besonderes, schauen sie mitleidig, arrogant auf die kleineren Blechkisten, und ehrfurchtsvoll auf die höher angesiedelten, die potenteren. Aber lassen wir das! Reden wir von der Kreativität, dem Augenschmaus, dem Styling des Blechkostüms, das uns ein Hochgefühl von Freiheit verleihen kann:
Da fällt mir sofort der grandiose Stylingversuch Nordhoffs vom Volkswagenwerk ein. Das hatte schon das Auto des Jahrhunderts, den Käfer, den Nordhoff übernommen, aber nicht gestylt hatte. Das sollten doch kleine Fische sein, einen Mittelklassenwagen auf die Straße zu stellen, der die Konkurrenz aussticht und dem Käfererfolg um nichts nachsteht!
Die halbe, um nicht zu sagen, die ganze Nation wartete fiebernd auf das Ergebnis, und, als es endlich erschien, war die Trauer groß. Abgesehen davon, dass sein Motor, wie die Lungenflügel bei einem Kettenraucher, zu wenig Luft bekam und zu einem frühzeitigen Tumor neigte, sein Blechkleid war total plattgestylt. Hätte Nordhoff die Intelligenz besessen, die ihm sogar Kanzler Adenauer bescheinigte, - „De Nortoff macht dat schon richtisch!“ – so hätte er das Styling im Ferrari – Maserati –Alfa Romeo – Land machen lassen und einen Volltreffer erzielt, aber,...Die DM stellte ihn als nicht empfehlenswert heraus, und es würde mich keineswegs wundern, wenn eines Tages herauskäme, dass Nordhoffs längerer Arm an der Schließung dieser sympathischen Zeitschrift beteiligt war. Nordhoff war schließlich nicht nur der dicke Freund Adenauers, und große Ereignisse werden eh erst nach 50 Jahren für das unmündige Publikum veröffentlicht!
Das Design war platt, so platt, wie es auch mich werden ließ. Ich hatte die Kiste ja schon ungesehen als Nachfolger meines sehr alten Käfers bestellt, und trat vom Kauf zurück, wie viele meiner Leidensgenossen.
Aber just in diesen Zeiten nationaler Trauer über den misslungenen Start eines deutschen Blechklamottenstylingversuches von VW ging ein Erleuchtungsblitz durch den Autowald. Und der kam von FORD: Der Taunus! Dieses eckenlose rundgefällige, auf alle Schnörkel verzichtende Blechkleid war eine Augenweide. Ich erwarb ihn sofort, (türkisfarben mit weißem Verdeck) obschon ich ihn mir noch gar nicht leisten konnte. Ich war bereit, auf vieles für ihn zu verzichten! Dass er auch seinen Macken hatte – die Karosserie hing über das Fahrgestell und man hatte bei einer sportlichen Rechtskurve das Gefühl, die Karosserie dränge nach links. – wollte ich einfach übersehen. Ich war glücklich, wenn er mich morgens mit seinen falschen, ovalen Augen anschaute, und ich ihn mir wie ein Festtagskleid überziehen konnte.
Mein Hochgefühl hätte auch auf ein lebenslanges Treueverhältnis zu FORD hinauslaufen können, wenn,…und da bin ich wieder beim richtigen Design- oder Stylinggefühl (manche nennen es auch, nicht immer zu Recht: Schönheitssinn) angelangt. Der Nachfolger dieser gelungenen Stylingaugenweide schien nichts mehr vom Erfolg seines Vorgängers wissen zu wollen, schien seine Anhänger zu Opel und Audi zu drängen. Ich war zutiefst enttäuscht und fuhr meinen alten Taunus bis er fast zusammenbrach.
Hätte man nicht einfach das Fahrgestell verbreitern können? Die Macken abstellen oder zumindest verkleinern können? Den Motor und die Technik verbessern, und die “Linie der Vernunft“, die nicht nur Vernunft war, belassen, oder stilistisch nur so zu ändern, dass es wie eine Bereicherung seines Vorgängers ausgesehen hätte, wie beim Käfer oder beim Mini, sagte ich mir damals wie heute. Mir scheint, dass solches nur Mercedes verstanden hat. Seine neuen Blechkleider hatten immer etwas mit dem Vorgänger zu tun, waren (fast) immer eine stilistische Bereicherung.
Ford verlor mich lange Zeit als Kunden. Alle Nachfolger meines geliebten Taunus waren nach meinem Empfinden plattgestylt. Im Schönland stieg ich auf Alfa um und später auf Mercedes, als ich zwischen meiner alten und neuen Heimat hin- und herfuhr.
Doch dann erlebte ich den zweiten FORD Frühling! Es war auf dem Flughafen in Rom bei der Zwischenlandung nach Bari. Da stand er plötzlich vor mir, der Focus. „Das kann nicht wahr sein,“ sagte ich mir und verpasste beinahe den Weiterflug. Es war die Wiederentdeckung der “Linie der Vernunft“, nach den neuesten stilistischen Empfindungen. Und da auch der Rest und der Preis stimmte, erstand ich ihn. Ich wollte mir da kein Luxusgefährt mehr leisten und hatte das Auto längst nur zu einem Forstbewegungsmittel degradiert, aber mein Stylingempfinden tat einen Freudensprung! Sehr positiv hatte ich schon den kleinen KA, ein Anflug der Rückkehr zur Linie der Vernunft, beurteilt; und ich bin auch überzeugt, dass sein Erfolg zur Kreativität des Focus beigetragen hat.
Aber die Geschichte wiederholt sich! „Wetten, dass die Fordmänner wieder den gleichen Stylingausrutscher bei seinem Nachfolger, wie beim Taunus machen“, sagte ich mir und behielt leider recht. Und das ist ihnen nicht nur beim Focussohn, sondern auch beim KA gelungen. Mir scheint eher sein Cousin, der neue Fiesta, der würdigere Nachfolger des Focus zu sein.
Warum muss man beim Stylen eines neuen Autokleides immer fasziniert auf die Konkurrenzkleider schauen, um möglichst viel von denen zu klauen. Kann man nicht seinen eigenen Stil unabhängig weiterentwickeln, so, wie es Mercedes macht? Nicht, dass mich das Design der Karosserieschneider der Firma umwirft, aber es hat Tradition, Respekt vor dem Design von gestern für das von heute und morgen. Alfa Romeo hat das allen vorgelebt! Alfa hat nie geklaut – hat sich nur beklauen lassen – solange es eine eigenständige, noch nicht vom Giganten Fiat geschluckte Firma war.
Man verzeihe mir den kleinen Ausflug in das Autostyling und lasse mich wieder zur Klamottenherstellung zurückkehren.
Die irren achtziger Jahre waren vorbei! Die Mauer war gefallen, der Kapitalismus feierte Triumphe! Das Design verflachte, die Klamotten verloren an Qualität, die ersten schnellen chinesischen Zwischenmeister tauchten in Prato auf. In den Ostblockländern trieb es mir zugleich das Lachen und die Zornesröte ins Gesicht, als ich die Flut der Deutschen Bekleidungsüberhänge sah. Es war Ware darunter, denen ich eine 20-jährige (und mehr) Produktionsvergangenheit gegeben hätte. Doch in den Baltischen Staaten, vor allen Dingen in Litauen, konnte ich sehen, was die Frauen daraus zauberten. Sie kauften die Altklamotten in großen Säcken – meist von der Caritas und vom Roten Kreuz – zum Kilopreis billig ein, und suchten daraus die Kleidungsstücke, die ihnen passten und gefielen, den Rest bekam die nationale Armenkleidersammlung. Die gewählten Stücke wuschen sie, änderten sie um und motzten sie so auf, dass fast ein neues Styling entstand, ein Baltendesign aus westverschmähter Kleidung. Es war eine Augenweide die Baltinnen in den Restaurants, den Klubs, den Abendlokalen auftauchen zu sehen. Keine trug je das gleiche, ja sie schienen den verschiedensten Mode- und sogar Epochenrichtungen zu entsprechen, selbst das Fransenkleid der Zwanzigerjahre sah ich darunter. Eine Bereicherung, die ich nach jedem Baltenbesuch im Westen vermisste.
„Im Westen nichts Neues“, sagten wir unter Kollegen, wenn wir uns auf den Messen trafen, und verzweifelt nach Anregendem suchten.
Eines davon sollte das Incontro zwischen Gianni Versace und Karl Lagerfeld sein. Es war der 27. Juli 93. Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag, am Vortage war mein Geburtstag und ich war schon im Urlaub auf Sardinien. Nichts hätte mich an diesem Tage vom Surfen und Segeln an den Fernseher locken können, aber auf das Interview Lagerfeld/Versace wollte ich nicht verzichten. Hatte doch die RAI 1 zum großen Ereignis geblasen, auf das niemand in der Modebranche verzichten könne. Und auch der Sponsor De Cecco hatte fleißig Reklame geschlagen. Doch dann kam die große Enttäuschung! Ich schrieb noch am gleichen Abend einen Bericht für die Fachzeitung, den ich dann aber nur für mich behielt:
Versace hat mich tief enttäuscht! Er wollte uns weismachen, dass Lagerfeld sein Meister wäre... Schon die ganze Aufmachung war darauf ausgerichtet, uns eine heile, intakte ALTA-MODE-WELT vorzuspielen. Die Interviews ergaben nur entzückende Ausrufe über alles, was beide Modemacher gebracht haben.
Gebracht wurde die Herbst- und Winterkollektion 93/94. Wundervoll, splendid, sexy (letzteres allerdings fast nur bei Versace) war der Tenor. Kein Wunder! Du brauchtest nur die Leute zu sehen, die da befragt wurden. (Denver-Biest war auch darunter.) Alles Leute, die gesehen werden wollten, die dazu die Modenschau benutzten. Wer sollte da wohl etwas Negatives über die Modelle verlauten lassen? Der einzige Ausrutscher war ein Mannequin. Auf die Frage, was würdest Du selbst von den ganzen Modellen tragen, wies sie auf ein schlichtes Modell hin: „Nur das eine, alle anderen nicht!“ Es war auch just das eine, das sich gelohnt hätte, für die Frau von der Straße zu verwenden.
Nun halten sie mich bitte nicht für einen Miesmacher, dem der Modeabend nicht gefallen hätte; nur das nicht! Er hat mir sehr gefallen! Tigerten dort der Welt beste und teuerste Vorführdamen über den Laufsteg, mit Fetzen am Körper vom Feinsten, vom Besten, von edelster Qualität, transparent, rustikal und fließend. Stoffe, die sich kein Konfektionär für die Klamotten der Frau von der Straße mehr leisten kann.
Es war ein schöner Abend am Fernsehen im Urlaub. Viel besser als alle Teleromanzen zusammen. Und so soll es auch bleiben, um die schöne Seite zu sehen, so wie ein Abend im Theater oder im Zirkus, aber mehr? Könnte man daraus auch etwas für die Mode, für die Frau auf der Straße, für unsere Klamottenhersteller gewinnen? Nein! Aber das war ja auch nicht im Sinne des Erfinders, sprich: Sponsors! De Cecco wollte damit auch nur seine pastasciutta – die auch ich gerne verspeise - bekannt machen; die Mode interessiert ihn nicht!
Und auch, dass die Kollektionspräsentation keine Moderichtung sein will, sagte uns noch Karl Lagerfeld: „Es gibt keine einheitlichen Linien, alles ist erlaubt, alles ist vermischt, alle Stilrichtungen werden zusammengetragen!“ Wir hörten andächtig zu, denn schließlich hatten wir es mit zwei hohen Würdenträgern der beiden bekanntesten Modeländer zu tun, der französischen und der italienischen, und warteten nur noch auf die angekündigte Modediskussion der Beiden. Aber das wurde dann der große Flop. Beide Meister ergingen sich in Lobeshymnen, als wollte einer den andern damit übertreffen. Jeder fand den andern groβartig, auch wenn keiner den andern kopieren wollte. Herr Versace begab sich am Ende superbescheiden unter die Füße von Herrn Lagerfeld, indem er – man höre und staune – Karl als seinen Meister erkor. (Wie Gianni das wohl gemacht hat, denn schließlich sind die beiden fast gleichaltrig, und Gianni wird kaum ein paar Kollektionen von Karl gesehen haben. Vielleicht hat er ihm nicht einmal die Hand vor diesem Interview gedrückt). Und Karl beeilte sich zu sagen, das auch er in Gianni Versace so etwas wie seinen Meister sehen würde.
Gianni und Karl umarmten sich am Ende. Das mindeste, das ich erhofft hatte, wäre ein interessanter Schlagabtausch über Mode gewesen. Nichts dergleichen!
„Friede, Freude, Eierkuchen,“ würde man in meinem linksrheinischen Heimatdorf dazu sagen. Und dabei wollen wir es auch belassen. Und vielleicht zeigt das auch einen neuen Weg auf, die ALTA MODA aus der Krise zu bringen. Man findet einen Sponsor, der Klamotten und Vorführung finanziert und macht daraus gemütliche Fernsehabende, wie am heutigen Abend.
Und damit habe ich längst noch nicht alles gesagt!
Pitti Uomo, Sommer 2016. Stylingbegräbnis.
Eine neue Idee! Jüngstengerichtsstyling